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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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nicht einmal durch den trockenen Ruf einer Zikade unterbrochen
wurde oder durch das Rascheln eines Lüftchens im verdorrten Gras. Ich stieß
einen Schrei aus, und meine Stimme klang entsetzlich; ich warf meinen Beutel
davon und lief, brüllte laut dabei, lief in die unendliche Leere, nur fort von
diesem schweigenden Grab mit seinem entsetzlich hohen Gewölbe. Ich war rasend,
und das weckte wohl die letzten Kräfte in mir; ich muß stundenlang so gelaufen
sein. Mir war schwarz vor Augen, und in meinem Kopf pochte der Schmerz; in den
Ohren hatte ich ein Tosen, ein Tosen so unablässig, wie zuvor über Tage die
Stille gewesen war. Das Tosen wuchs zum Donner. Es war wie ein Fausthieb, als
ich begriff, daß dieser Donner nicht in meinem Inneren dröhnte, sondern von
draußen kam. Und da sah ich, daß ich direkt am Rand einer hohen Klippe stand,
und tief unter mir brandeten die Wellen des Ozeans.
    Ost- und westwärts erstreckten sich diese Klippen, so weit das Auge
reichte, gewaltige Zinnen und Bastionen aus Fels, die in der Morgensonne
glitzerten. Es war ein prachtvoller Anblick, der mich ganz gefangennahm, und
nun kehrte wieder Ruhe in mich ein; bald war mein Kopf auch klar genug, daß ich
begriff, was der Eingeborenenpfad bedeutete, der deutlich entlang der Kante
nach Osten führte. Ich folgte ihm mühsam etwa zwei Meilen weit, dann kam ich an
eine Stelle, wo die Klippen ein wenig vom Meer zurückwichen, der Mündung eines
trockenen, sandigen Tales, zu dem der Weg den steilen Abhang hinunterführte.
Ich stieg hinab – unter größten Mühen, so geschwächt, wie ich war –, und nach
vielleicht einer Stunde stieß ich zwischen den Sandhügeln auf mehrere erst vor
kurzem gegrabene Brunnen der Einheimischen. Außerdem gab es ein niedriges
Gestrüpp, an dem reichlich rote Beeren wuchsen, und als ich hinsah, flog ein
Schwarm weißer Papageien auf, die davon gepickt hatten – das erste Mal seit
Tagen, daß ich Tiere sah. Ich aß und war klug genug, maßvoll zu essen. Ich
ruhte ein wenig, denn suchte ich mir eine warme Wasserstelle und badete. Meine
Kräfte kehrten zurück. Später fand ich einen Teich und es gelang mir, mit dem
Hut ein paar Fische zu fangen. Mein Knappsack war zwar fort, aber die
Wasserflasche und den Kochtopf hatte ich noch, und in der Hosentasche auch
Streichhölzer. Ich aß und ich begriff, was für ein Glück es ist zu schmecken.
Und an diesem Abend wiegte mich das Lied der Wellen in den Schlaf.
    Zwei Tage marschierte ich ostwärts, den festen Strand entlang mit
sandigen Hügeln und dahinter den Klippen zu meiner Linken – eine regelrechte
Straße, die nur bisweilen von großen Mengen Seegras versperrt war. Ich hatte
Wasservorräte für mehrere Tage, und ansonsten lebte ich von Beeren. Ich war nun
wieder voller Zuversicht, daß ich binnen kurzem auf menschliche Behausungen
stoßen würde. Landvögel wurden häufiger, ein Zeichen, daß vor mir eine andere
Landschaft liegen mußte.
    Am dritten Tag kehrten die Klippen wieder bis ans Meer zurück, und
ich verbrachte Stunden damit, einen Weg nach oben zu finden. Damit war meine
Lage nun wieder schlechter geworden. Die Büsche, deren Beeren mir Nahrung
gegeben hatten, wurden seltener; ich hatte keine Möglichkeit, größere Vorräte
von den Beeren mitzunehmen; und sie konnten mich auch nicht über Tage bei
Kräften halten. Und – was das Schlimmste war – ich hatte kein weiteres
Trinkwasser mehr gefunden. Zweimal erwachte ich frühmorgens und versuchte, den
Tau von den Büschen zu sammeln; mit einem improvisierten Schwamm aus Gras
konnte ich unter Mühen einen Achtel- oder Viertelliter sammeln. Entsprechend
weniger kam ich voran, und ich wußte, daß die Arbeit mehr Kräfte verzehrte, als
sie aufbaute. Das einzige, was mir Hoffnung machte, das war, daß die
Landschaft, durch die ich mich kämpfte, sich nun zusehends veränderte.
    Das Buschwerk wurde dichter und reichte oft bis unmittelbar an die
Kante der Klippe mit ihrer schwindelerregenden Höhe heran, und ein paarmal
fürchtete ich, daß kein Durchkommen mehr sein würde. Doch manchmal kamen
größere Baumgruppen, und ich nahm das als ein weiteres Zeichen, daß ich in eine
Gegend mit fruchtbarerem Boden gelangte. Die Eukalyptusbäume verschafften mir
sogar unerwartet Nahrung, denn unter ihrer rauhen Rinde verbargen sich dicke
weiße Maden. Ich aß vorsichtig davon, und auch wenn mir sehr übel wurde, halfen
sie mir doch, wieder zu Kräften zu kommen. Und die Verlockungen dieser Nahrung
waren es, die

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