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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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deren Grenzen man mit Willenskraft weiter hinausschieben konnte:
ich war in meinem Unwissen gefangen, umgeben von Wänden, die so hart waren wie
der Fels, den ich erklommen hatte.
    Das Buschfeuer war weitergewandert – etwa, der untergehenden Sonne
nach zu urteilen, in Richtung Südwesten. Es hatte eine qualmende Wüste
zurückgelassen, und bis zum Morgen würde es zu gefährlich sein
hinunterzusteigen; für den Augenblick blieb mir nichts als mich zu orientieren,
so gut es ging, einen geschützten Platz zu finden und mich zur Ruhe zu legen.
    Ich kalkulierte, daß es bis zum Horizont etwa fünfzig Meilen waren.
Und in diesem ganzen gewaltigen Zirkel gab es außer der Erhebung, auf der ich
stand, nichts als den immergleichen, menschenleeren Busch, durchzogen von einer
schwelenden Brandnarbe, deren brennendes Ende sich nun allmählich in der Ferne
verlor – eine leicht hügelige Ödnis aus spärlichem Buschwerk und Sand,
aufgelockert nur dann und wann von ein paar Bäumen oder einer Erhebung, die ein
wenig über die anderen hinausragte. Eine Lichtung, eine menschliche Siedlung – ob Weißer, ob Einheimischer – war nirgends in Sicht; alles war leer und
bedrückend, hatte etwas sinister Wartendes, das die Nerven zermürbte. Nur am
äußersten Ende des südlichen Horizonts gab es eine gleichmäßige, wie mit dem
Bleistift gezogene Linie. Lange und beklommen studierte ich sie in der
trügerischen Hitze. Am Ende beschloß ich, sie zur See und damit zu meinem Ziel
zu erklären.
    Als nächstes überlegte ich, was ich brauchen würde und wie es mit
meinen Ressourcen bestellt war. An dem Knappsack angebunden hatte ich einen Hut
gefunden, das Notwendigste überhaupt. In dem Sack steckten ein Hemd,
Haferflocken, einiger Zwieback, Streichhölzer und ein paar persönliche
Besitztümer, die ich nur ratlos betrachten konnte. Einen Kompaß hatte ich
nicht. Doch in meiner Hosentasche entdeckte ich eine Uhr. Und ich hatte einen
kleinen Kochtopf ohne Deckel.
    Ich machte mir keine Hoffnung, daß man sich in dem gesichtslosen Land
zu meinen Füßen nur nach Sonne und Uhr orientieren könnte. Ich brauchte die Uhr,
die ich um Mittag etwa auf die richtige Zeit einstellen würde, die Sterne am Himmel,
ein hinreichend offenes Land und einen Erdboden, bei dem man es wagen konnte, in
der Kühle der Nacht zu marschieren. Ich mußte Wasser binnen der nächsten vierundzwanzig
Stunden finden und Nahrung binnen der nächsten drei oder vier Tage. Nachdem das
entschieden war, suchte ich mir einen schattigen Flecken und legte mich nieder,
und schon im nächsten Moment schlief ich fest.
    Ich erwachte in der kurzen australischen Abenddämmerung, und als ich
von meinem Felsen hinunterblickte, sah ich, daß das Feuer an hundert Stellen
noch weiterschwelte. Doch der große Brand war vorüber, erstickt vielleicht von
einem sandigen Streifen, der durch Zufall ein wenig breiter als die anderen
war, und ich beschloß hinunterzuklettern und wenigstens zu prüfen, ob ich in
der Nacht meinen Marsch beginnen konnte. Nun wo das Licht schon schwächer
wurde, war der Weg den Kamin hinunter doppelt gefährlich, aber ich war in der
Stimmung, etwas zu riskieren. Ich hätte mir beinahe den Hals gebrochen.
Andererseits rettete es mir aber auch das Leben.
    Bevor ich noch halb unten war, war es fast dunkel geworden. Am
unteren Ende verzweigte sich der Kamin; ich wollte den Arm hinabsteigen, durch
den ich gekommen war, doch ein Stein, auf den ich trat, gab nach, und ich fiel
vielleicht fünfzehn Fuß tief durch das andere Ende des Kamins. Ich lag da,
benommen, und doch kalkulierte mein Verstand bereits meine Chancen: ein
gebrochenes oder verstauchtes Bein, und ich war erledigt. Schmerz spürte ich
keinen – doch Schmerzen stellen sich oft erst später ein. Ich regte
versuchsweise die Gliedmaßen; alle folgten, zu meiner gewaltigen Erleichterung,
meinem Willen. Doch im nächsten Moment folgte ein ebensogroßer Schrecken. Beide
Beine waren, wie ich glaubte, blutüberströmt. Doch es war Wasser. Diese
Entdeckung änderte meine sämtlichen Pläne. Ich mußte jedes Quentchen Wasser
mitnehmen, das ich tragen konnte, die Hälfte davon einem offenen Kochtopf. Bis
das Wasser im Kochtopf aufgebraucht war, durfte ich nicht stolpern. Eine so
kuriose Variante des Eierlaufens war nur bei Tageslicht denkbar. Ich fand,
daß der Gewinn an Wasser die Tatsache, daß meine Nahrungsvorräte dann zwölf
Stunden länger reichen mußten, überwog, und auch das Risiko, daß ich bei
Sonnenlicht

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