Klagelied auf einen Dichter
mich das Meer aus dem Blick verlieren ließen. In der bleischweren
Nachmittagssonne irrte ich nun durch ein Gewirr aus Eukalyptus, und zum zweiten
Mal hatte ich keinen Tropfen Wasser mehr. Es wurde Abend, und von einem
Augenblick auf den anderen verlor ich die Nerven. Mag sein, daß die Maden etwas
Giftiges hatten und dies der unmittelbare Anstoß war, doch meine Nerven waren
schon seit langem zum Zerreißen gespannt. Meine Körperkräfte genügten, um
weiterzustolpern, doch ich hatte nicht mehr die Willenskraft, mich mit Einbruch
der Nacht zur Ruhe zu legen. Ich irrte zwischen den großen Bäumen umher, nun
ganz von jener Panik ergriffen, die ich so lange gefürchtet hatte, und
schließlich stürzte ich zu Boden.
Stundenlang muß ich halb ohnmächtig dort gelegen haben, und ich
spürte, daß die Nacht dumpfer und drückender als gewöhnlich war. In den
quälenden Durst mischte sich nun schmerzender Hunger, und es war wohl die Suche
nach den nun schon vertrauten Maden, die mich den Baumstamm, neben dem ich lag,
abtasten ließ. Plötzlich durchfuhr es meinen ganzen Körper, als hätte mir der
Baum einen Stromstoß versetzt. Die Rinde war abgeschält. Es war die erste Spur
einer menschlichen Besiedlung.
Ich brachte keinen Hilferuf zustande, und die Nacht war vollkommen
sternlos und dunkel. Ich konnte nur bis zum Morgengrauen warten, und von Zeit
zu Zeit tastete ich nach den Spuren der Axt, um mich zu vergewissern, daß sie
tatsächlich da waren. Die Sonne ging auf, und bis zum heutigen Tage habe ich
die Bitternis und Verzweiflung nicht vergessen, die sich meiner bemächtigten,
als ich nun meine Lage sah. Der Baum war seiner Rinde beraubt und abgestorben,
wie fünfzig andere ringsum. Doch wer immer es getan hatte, hatte seinen
Versuch, diesen Wald zu roden, schon vor langer Zeit aufgegeben; die einzige
Spur, die sonst noch von den Siedlern blieb, war eine leere, verfallene Hütte.
Ich würde umkommen, gerade als ich die Grenze der Zivilisation erreicht hatte;
damit hatte ich mich abgefunden – doch dann brach das Unwetter los.
Binnen fünf Minuten hatte ich Zuflucht in der Hütte gesucht, naß bis
auf die Haut und mit meinem Topf voller Wasser. Nur wenige Augenblicke später,
und das andere Ende meines Obdachs zerbarst unter einem der abgestorbenen
Bäume, der mit großem Getöse niederging. Und wieder einmal brachte mir die
Gefahr im selben Moment auch die Rettung. In dem umgestürzten Baum – und es
konnte ja nur einer unter Tausenden sein – hatten wilde Bienen ihre Waben
gebaut. Das Unwetter hatte mir Honig gleich pfundweise beschert.
Ich war aus einer außerordentlich einsamen Gegend an den Rand
menschlicher Behausungen gekommen. Ich mußte nur zurück zum Meer finden und der
Küste folgen, bis ich in Sicherheit war. Und in der Nacht, als der Sturm sich
gelegt hatte, hörte ich das Rauschen der Wellen. Ich fand die Klippen wieder,
noch nicht einmal eine Meile weit fort.
Wo die großen Eukalyptusbäume wachsen, hat der Boden für ein
Unterholz keine Kraft mehr, und ich kam gut voran; doch als ich erst einmal aus
dem Wald heraus war, wurde das Gestrüpp von Meile zu Meile dichter; nicht
lange, und es war eine fast undurchdringliche Barriere bis hinunter an die
Klippen, die sich noch immer ins Unermeßliche erstreckten. Unter mir, zwischen
Klippe und See, lief ein schmaler Streifen mit sandigen Hügeln, die auf Wasser
hoffen ließen, und jenseits gab es – außer bei Flut – wieder einen breiten,
festen Weg auf dem Sand. Ich beschloß, daß ich bei der ersten Möglichkeit
hinunterklettern und es riskieren würde, daß die Klippen weiter vorn vielleicht
wieder bis ans Wasser reichten und ich mühsam den Weg zurückgehen müßte.
Ich war voller Zuversicht und voller Ungeduld; zugleich war ich aber
auch mit den Nerven am Ende, und mein Urteilsvermögen ließ gewiß nach. Ich nahm
die erste Abstiegsmöglichkeit, die sich bot. Sie erwies sich als ein
ausgesprochen gefährlicher Weg; um jeden festen Halt für meinen Fuß mußte ich
kämpfen, und zudem schwindelte mir immer mehr. Schließlich – doch es kann nicht
mehr weit vom Boden gewesen sein – stürzte ich.
Von dem, was dann geschah, sind in meiner Erinnerung nur noch
Fragmente geblieben. Ich weiß noch, wie ich den endlosen Strand
entlangwanderte, ohne jedes Gefühl, in welche Richtung ich ging, und ohne jedes
Ziel. Ich weiß noch, wie ein Schwarm Wasserläufer vor mir aufflog und wie sie
in eleganter Formation vor mir herflogen – mich vielleicht
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