Klagelied auf einen Dichter
weiterzogen, wo ich
sonst liegengeblieben wäre. Wasserflasche und Kochtopf hatte ich, glaube ich,
verloren; ich erinnere mich, daß ich Wasser fand, das von dem Regen in einer
natürlichen Vertiefung des Kalksteins zurückgeblieben war. Noch lebhaft ist mir
die Debatte im Gedächtnis, die ich mit mir über die Frage führte, ob ich einen
Hund hatte bellen hören oder nicht. Und schließlich weiß ich noch, wie ich am
Ende im Dunkeln lag und mir klar war, daß nun das Delirium begonnen hatte – ich
wußte es, denn ringsum war die warme Nachtluft durchdrungen vom schwerem Duft
der Nelken.
Der Junge beugte sich über mich. Sein Gesicht, golden gebräunt
von der Sonne, hatte etwas Surreales, die Präsenz und den Reichtum eines großen
Gemäldes. Er stellte die Blechtasse zwischen die Nelken des kleinen, Fels
und Sand abgetrotzten Gartens und rief glücklich zu jemandem in der Hütte
hinter uns: »Vater – er kommt zu sich!« Dann hob er mir wieder die Tasse an die
Lippen. »Beinahe wär’s um Sie geschehen gewesen, Mister. Aber wir kriegen Sie
schon wieder hin.« Ich muß wohl etwas gemurmelt haben, daß ich wochenlang durch
den Busch geirrt sei. Er machte große Augen. Dann lächelte er, und sein Lächeln
war wie die Sonne, die plötzlich über einem dunklen Bergsee in den Highlands
durchbricht. »Tatsächlich? Tja, westlich von Desperation Bay, da wird’s
ziemlich einsam.« Er war vielleicht zehn oder elf, und seine Stimme war erfüllt
vom Stolz des Pioniers.
Plötzlich sprang er auf und blickte hinaus aufs Meer. Dann rief er
aufgeregt und hatte mich dabei schon ganz und gar vergessen: »Vater, Vater – da
kommt das Schiff von den Ansons!«
II.
Ich will hier nicht näher von Richard Anson schreiben, von
seiner Humanität, seiner exzentrischen Art. Er nahm mich mit nach Port Lincoln
und hörte sich unterwegs meine so merkwürdig kurze Geschichte an. Ich war ein
erwachsener Mann – zwanzig, vielleicht einundzwanzig Jahre alt –, doch ich
hatte keine Vergangenheit außer zwei Wochen Wanderschaft entlang der Küste der
Großen Australischen Bucht. Ich hatte nicht einmal einen Namen; und als wir
Cape Catastrophe umschifften, verfiel Anson auf die launige Idee, mir den Namen
des ersten Seefahrers zu geben, der diese Gewässer erforscht hatte. Und so kam
in jenem Februar des Jahres 1893 Richard Flinders zur Welt.
Heute verstehe ich, daß Anson mich, weil er mich gefunden hatte, als
eine Art Eigentum ansah; daß seine Pläne in aller Unschuld unbewußt darauf
hinausliefen, daß ich bei ihm blieb. Die Gegend, in der man mich fand, war
damals die südwestlichste Grenze der Besiedlung Südaustraliens: von Port
Lincoln segelten wir nach Port Augasta und fuhren von dort zum größten der
Anson-Landsitze in einem entlegenen Winkel der Region; die Ärzte, die mich
behandelten, kamen – es muß ein Vermögen gekostet haben – aus Sydney den
Ostsaum des Kontinents entlang. Wäre Ian Guthries Verschwinden unaufgeklärt
geblieben, so hätte man mich gewiß, auch wenn ich mein Gedächtnis nicht
zurückerlangte, entdeckt und wiedererkannt. Doch einige Wochen später fand man – wie ich heute weiß – jenen einsamen Leichnam, ausgestreckt bei der Asche
seines letzten Signalfeuers, und mein Knappsack mit dem wenigen, was man
identifizieren konnte, lag ganz in der Nähe. Danach zweifelte niemand mehr
daran, daß Ian Guthrie umgekommen war; was nun noch von ihm existierte, das
existierte in einem Teil von Richard Flinders’ Hirn, zu dem der Schlüssel
verloren war.
Im Haus der Ansons und an der Art, wie sie lebten, fand ich vieles,
was mir vertraut war. Das Leben auf dem Land, das weitläufige Haus mit seinen
dunklen Möbeln, die edlen, doch nun ausgeblichenen und zerschlissenen Stoffe,
die langen Reihen der Vorfahren, die den Unternehmungen der Heutigen von den
Wänden aus zusahen: das waren Dinge, die meinen Verstand besser anregten, als
alle Kunst der Psychologen es gekonnt hätte. Anson war ein kinderloser,
unverheirateter Mann, und ich sah eine Zukunft vor mir, gegen die ich
aufbegehren mußte. Ich hatte nicht vor, mein Leben in dieser Einsamkeit zu
verbringen; es mochte an den Schrecken liegen, die ich durchgemacht hatte, doch
vermutlich eher an nun unterbewußten Einflüssen meiner früheren Jahre, doch ich
fand die endlose Weite der Ländereien bedrückend, und bisweilen flößten sie mir
sogar Furcht ein. Dazu kam, daß ich ganz in das Geheimnis meines eigenen
umwölkten Verstandes vertieft war, und daraus ergab
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