Klagelied auf einen Dichter
Mathers erzählen und davon, wie es kam, daß ich
selbst meinen Anteil am Schicksal von Erchany hatte.
VI.
Ob es nun der heftige Schlag auf den Kopf war, den er sich bei
seinem Treppensturz geholt hatte, oder das grobe Betragen des Gutsherrn – etwas
hatte den Schwachkopf Tammas ganz durcheinandergebracht. Selbst in seinen
besten Zeiten wußte man nie, woran man bei ihm war – im einen Augenblick war er
ganz vernünftig, im anderen irre, manchmal so lieb und sanftmütig, daß man
Mitleid mit ihm hatte, weil er nicht ganz richtig im Kopf war, und dann wieder
grimmig und mißmutig und bösartig wie ein Teufel. Allerdings hatte er
bisher nie den Mädchen zugesetzt; wozu sie da waren, schien er so wenig zu
wissen wie ein lebloses Ding. Isa hatte sich nie vor ihm gefürchtet und hatte
sich, wenn sie ihm sein Essen zur Hintertür der Küche hinausgab, nicht
mehr dabei gedacht als wenn sie die Hühner fütterte. Aber vielleicht hatte der
Treppensturz in seinem wirren Kopf etwas in Gang gesetzt, wofür der Quacksalber
aus der Harley Street einen gelehrten Namen gehabt hätte, denn in jener Nacht erwachten
die Triebe der Natur in ihm, und er versuchte sich an Isa heranzumachen. Es war
tiefste Nacht, als sie von etwas erwachte, was mehr war als das gewohnte
Rascheln der Ratten von Erchany; sie schlug die Augen auf, und da sah sie im
Licht des Vollmonds Tammas, wie er eben zum Fenster hereinkletterte. Ein Blick
auf sein Gesicht genügte, und sie war aus dem Bett und zur Tür hinaus, solange
ihre Beine noch die Kraft hatten, sie zu tragen. Tammas stieß einen
entsetzlichen Laut aus, eine Art sabberndes Heulen, und nahm die Verfolgung
auf.
Zuerst wollte sie zu Christine laufen, doch selbst zu zweit wären
sie wohl machtlos gegen diesen Burschen in seinem Wahn gewesen, und es schien
auch nicht anständig, ihn in diese Richtung zu führen. Am Ende des Ganges angelangt,
zögerte sie einen Moment lang, denn sie konnte nun entweder zum Flügel der
Hardcastles laufen oder, wenn sie die andere Richtung einschlug, zum Turm
kommen und versuchen, den Herrn zu finden. Und so sehr sie sich auch vor
Guthrie fürchtete, wußte sie doch, daß ihm eher zu trauen war als dem Verwalter
Hardcastle, der stets etwas Lüsternes in seinem Blick hatte und dazu womöglich
noch ein Feigling war. So raffte sie denn ihr Nachthemd und lief hinüber zum
Turm und war schon halb dort, als ihr, und das Herz stockte ihr dabei, aufging,
daß der Herr sich des nachts immer doppelt in seiner Festung einschloß und daß
sie nicht in den Turm und zu ihm hinaufkommen würde. Sie blieb stehen, obwohl
der Schwachkopf ihr noch immer nachsetzte, und sah sich verzweifelt nach einer
Stelle um, an der sie sich verstecken konnte. Sie blickte durch eines der
großen Fenster hinaus auf den Hof, und da sah sie ein Licht, das sich hoch oben
auf der gegenüberliegenden Seite bewegte. Guthrie hatte sich nicht im Turm
eingeschlossen, sondern war oben in seiner jetzt wieder offenen Galerie. Isa
lief zur Haupttreppe und horchte nun gar nicht mehr, ob Tammas noch hinter ihr
war, sondern stürmte die ausgetretenen Steinstufen hinauf, als sei es das
Wettlaufen beim Ausflug der Sonntagsschule.
Erst als sie schon halb oben war, kam sie auf die Idee, um Hilfe zu
rufen, doch da hatte sie schon nicht mehr den Atem dazu, und nur eine Art
Schluchzer und ein Husten kamen noch hervor. Und so hastete sie denn nach oben
und durch die aufgebrochene Tür, und dann stieß sie doch noch einen lauten
Schrei aus, denn vor ihr stand Guthrie im Kilt, leichenblaß und mit einer
schweren Streitaxt in der Hand. Doch gleich darauf erkannte sie, daß es nur ein
Bild war, ein altes Ölgemälde, das ihr im Mondlicht aus seinem schwarz
gewordenen Rahmen entgegenglomm, und daß es nur eines in einer langen Reihe
war, die sich entlang der Wand der Galerie erstreckte. Guthrie war nirgends zu
sehen; er mußte hinter der nächsten Biegung sein – der Leser wird sich
erinnern, daß die Galerie aus drei Teilen mit zwei solchen Biegungen bestand.
Sie lief durch den langen, schwach erleuchteten Raum, und plötzlich
hörte sie ein Atmen unmittelbar hinter sich. Das muß der Schwachkopf sein,
dachte sie, und noch immer war nichts vom Gutsherrn zu sehen; sie sprang in
eine schmale Nische, kurz davor, sich aus dem Fenster zu werfen, und
tatsächlich war auch ein Fenster dort, eines, das nicht zum Hof, sondern ins
Freie außerhalb der Burg blickte. Die Hälfte der Scheiben waren zerbrochen, und
so hörte sie den Gesang,
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