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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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beinahe in ein Schwert gelaufen; der Gutsherr hatte ein
rostiges Breitschwert von der Wand genommen und fuchtelte damit wie der rasende
Hamlet auf der Suche nach König Claudius von Dänemark. Doch diesmal blickte der
Herr in seiner üblichen Art über Isas Kopf hinweg und murmelte etwas davon, daß
die Leute wissen sollten, daß er ein Schwert auf seinem Zimmer habe – und
darauf begab er sich mitsamt Schwert nach oben und ward am Vormittag nicht mehr
gesehen.
    Doch zur Mittagszeit kam der nächste Schock, denn der Gutsherr
wollte nun unbedingt, daß im großen Saal serviert wurde, einem gewaltigen Raum,
der vom Stolz der Guthries vergangener Generationen kündete. Zugig und voller
Echos, das Echo wiederum gedämpft von der kühlen, feuchten Luft, war er am
einen Ende vollgestopft mit Gerümpel, und am anderen Ende hatte er eine Empore
für Musikanten, auf der nun die Ratten musizierten. Vor einem mit Schnitzereien
verzierten Kamin, so groß, daß man zwei oder drei Shetlandponys darin hätte
unterstellen können, stand ein langer flämischer Tisch, schon schwer vom
Holzwurm zerfressen, und dort nahmen Guthrie und sein Mündel Christine Mathers
nun einander gegenüber Platz, und die arme Isa Murdoch, ganz verängstigt von so
viel Ungewohntem, mußte ihnen ihr geschmortes Kaninchen dort servieren, und
nicht in einer alten, schartigen Porzellanschüssel, sondern auf einem in aller
Eile halbwegs blankgeputzten silbernen Tablett. Als nächstes ließ Guthrie Wein
aus dem Keller bringen, und als die staubigen Flaschen vor ihm standen, starrte
er sie an, als enthielten sie ein geheimnisvolles Elixier, das gerade von einem
fernen Planeten eingetroffen sei, und das waren sie ja auch beinahe, denn
nichts außer Wasser und Milch wurde auf Erchany je getrunken. Mistress
Hardcastle hatte einen Korkenzieher mitgeschickt, und Guthrie hatte schon die
Hand danach ausgestreckt, als wolle er eine der Flaschen öffnen, dann sprang er
plötzlich auf und rief, sie sollten sehen, daß sie mit ihrer Arbeit vorankämen;
sie hätten die Galerie noch nicht in Ordnung gebracht.
    Als Isa mit ihr nach oben ging, fragte sie Christine, ob sie denn
wisse, was der Herr vorhabe, und ob denn nach all den Jahren nun wieder Gäste
auf die Burg kommen sollten. Doch Christine wußte allem Anschein nach nichts,
und in Gedanken war sie so weit fort wie immer; sie lebte ihr Leben auf Erchany
wie im Traum, obwohl es ein Traum sein mochte, hinter dem eine Leidenschaft
steckte. So war denn Isa so klug wie zuvor, als sie oben an der Tür zur Galerie
anlangten.
    Die Galerie von Erchany hatte ein Vorfahr im späten 17. Jahrhundert
anlegen lassen, kurz bevor die Gier nach Reichtum in fernen Ländern die
Guthries und ganz Schottland fast an den Bettelstab brachte. Er war in England
viel herumgekommen, und die Häuser, die dort in der Tudor-Zeit entstanden
waren, hatten ihn schwer beeindruckt; auf Erchany ließ er im ganzen obersten
Stockwerk die Zwischenwände herausreißen, und so entstand die langgestreckte,
niedrige Galerie. Drei Seiten des Hauses umlief sie, und auch die vierte wäre
noch hinzugekommen, hätten sich die neun Fuß dicken Mauern des Turms
durchbrechen lassen. Es heißt, nach Vollendung der Galerie sei jener Guthrie
nur noch glücklich gewesen, wenn es in Strömen goß: Dann promenierte er in seiner
Galerie, um sich Bewegung zu verschaffen, munter wie ein Vögelein. Und für
einen Guthrie war das ja nun wirklich ein unschuldiges Vergnügen.
    Niemand hatte zu Ranalds Zeiten je die Galerie betreten, und als Isa
und Christine die Tür sahen, da konnten sie sich wahrscheinlich kaum
vorstellen, daß je wieder jemand hineingelangen würde. Es gab nur die eine,
massive, mit Eisen beschlagene Tür, und dies war die Stelle, wo Guthrie, als er
vierzig Jahre zuvor fast ganz Erchany verschlossen hatte, dem Schlosser seinen
Lohn mißgönnt hatte. Christine sei bleich geworden, erzählte Isa, als sie sah,
mit welcher Wut diese Tür verbarrikadiert war. Große Nägel waren schräg durch
die Bohlen tief in den Rahmen getrieben, und das mit der Kraft und
Geschicklichkeit eines Mannes, der im australischen Busch den Umgang mit Axt um
Hammer gelernt hatte. Es hatte ihm Geld sparen sollen, als Guthrie, geizig wie
er war, fast ganz Erchany hinter Schloß und Riegel gelegt hatte, doch hier war
ohne Frage noch eine andere Leidenschaft im Spiel, eine Leidenschaft aus der
Zeit vor vierzig Jahren oder eine, die vierzig Jahre lang verborgen geblieben
war, die jedoch ihre

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