Klagelied auf einen Dichter
statt
dessen welche zu geben. »Von den Frasers von Mervie«, sagte er, »da könnte ich
Ihnen Geschichten erzählen –«
Das ist Clanclackets übliche Formel, mit der er zu einer längeren
Dissertation ausholt; eine gute Stunde lang bekam ich alles über das
exzentrische Leben der Frasers von Mervie und ihrer gesamten Verwandtschaft
rund um den Erdball zu hören. Clanclacket ist für sein enzyklopädisches Wissen
in diesen Dingen berüchtigt, und als das Thema der Frasers sich zu erschöpfen
begann, ging mir durch den Kopf, daß mir dieses Wissen, wenn ich mir vorsichtig
daraus verschaffte, was ich brauchte, vielleicht noch nützlich sein konnte.
»Clanclacket«, sagte ich, als sei plötzlich mein Interesse daran erwacht, »die
Grants von Kildoon – wissen Sie über die etwas?«
Er sah mich mißtrauisch an. »Nein«, sagte er. »Nein! Nicht das
geringste. Aber über die Guthries von Erchany, da könnte ich Ihnen –«
Ich versuchte das gleiche Gesicht aufzusetzen, mit dem ich mir seine
Erzählungen von den Taten und Untaten der Frasers angehört hatte, obwohl mir ja
nun ganz anders ums Herz war. Bisher wußte ich über Mr. Guthrie von Erchany,
den Verstorbenen, zu dessen verwaistem Besitz ich unterwegs war, ja nicht mehr
als das, was am Morgen in einer Notiz in einer Ecke des Scotsman gestanden hatte: daß er in der Weihnacht unter Umständen, die eine gerichtliche
Untersuchung erforderlich machen würden, von einem Turm gestürzt war. Alles,
was ich aus Clanclackets Fundus von Anekdoten noch über Charakter und
Lebensumstände dieses unglücklichen Mannes erfahren konnte, würde mir
vielleicht noch gute Dienste erweisen. Ich muß gestehen, daß ich ein Gähnen
vortäuschte und in so gleichmütigem Tonfall wie möglich fragte: »Sind es
interessante Leute?«
»Interessante Leute seit Jahrhunderten! Nehmen Sie zum Beispiel
Andrew Guthrie, den ›Blutigen Guthrie‹, der in Solway Moss erschlagen wurde –«
Kein Zweifel, dachte ich, als sich eine dreiviertel Stunde später
die Chronik meines Reisegefährten dem 18. Jahrhundert näherte, daß diese
Guthries von Erchany interessante Leute waren; ich konnte mir nicht vorstellen,
daß es irgendwo im schottischen Kleinadel eine Familie mit pittoreskerer
Geschichte geben konnte. Doch unter den gegebenen Umständen galt mein Interesse
allein der Gegenwart, und ich faßte mich in Geduld, bis Clanclacket bei der
Generation des jüngst verstorbenen Burgherrn und dessen unmittelbaren
Vorgängern anlangte. Der Abend kam, und die Landschaft vor dem Zugfenster
verschwand, je weiter nach Norden wir kamen, immer mehr unter Bergen von
Schnee, und das trug nicht eben dazu bei, daß mir die Mission, in der ich
reiste, weniger mühsam oder weniger unbequem vorkam; trotzdem bedauerte ich
beinahe die Geschwindigkeit, mit der wir fuhren, denn ich fürchtete, daß wir
früher in Perth anlangen würden als bei Mr. Ranald Guthrie.
»… Und dann Ranald Guthrie, der heutige Gutsherr. Wieder die
gleiche morbide Veranlagung – nur hier allem Anschein nach noch stärker
ausgeprägt. Ich glaube« – und hier senkte Clanclacket die Stimme und warf einen
Blick auf den Gang hinaus, um sich zu vergewissern, daß niemand mithörte – »ich
glaube, er hat künstlerische Neigungen.«
» Du liebe Güte!«
»Aber wir müssen präzise sein, Wedderburn; wir müssen immer präzise
sein. Ich will gleich hinzufügen, daß es mit diesen Neigungen inzwischen vorbei
sein mag.«
»Da können Sie sicher sein, Clanclacket.«
»Äh – wie bitte? Sie wissen ja nichts über ihn, mein Lieber! Als
junger Bursche ist dieser Ranald von zu Hause fortgelaufen und zum Theater
gegangen.«
»Ah!«
»Genau. Eine durch und durch labile Familie. Aber wir müssen fair
sein, Wedderburn; wir müssen immer fair sein. Er war damals noch sehr jung. Und
man fand ihn wieder. Nach ein paar Monaten – einem Jahr vielleicht – fand man
ihn wieder, und natürlich wurde er in die Kolonien geschickt. Das einzige, was
man in solchen Fällen tun kann. Die Wahl fiel auf Australien; es hat gegenüber
Kanada den Vorteil, daß es drei- oder viermal so weit fort ist. Doch Ranald
wollte sich nicht fügen. Als er den Hafen von Fremantle sah, versuchte er sich
umzubringen.«
»Du liebe Güte! Aber das sind inzwischen alles alte Geschichten,
nicht wahr? Man würde zum Beispiel kaum noch einen Zeugen finden, der
beschwören würde, daß es ein Selbstmordversuch war, oder?«
»Also wirklich, Wedderburn, Sie sollten doch
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