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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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darauf
zu plädieren, daß es nichts weiter als ein geologisches Experiment rein
wissenschaftlicher Art gewesen sei. Aeneas schien genau der richtige Mann für
General Gylbys Neffen, und am Abend des Weihnachtstages machte er sich auf den
Weg nach Dunwinnie. Man wird verstehen, mit welcher Erregung ich früh am
nächsten Morgen ein Telegramm las, in dem er mir mitteilte, daß er beim eiligen
Umsteigen auf dem Bahnhof von Perth auf dem Eis ausgerutscht war und sich das
Bein gebrochen hatte. Ich brauche auch nicht näher zu schildern, welche
Anstrengungen ich unternahm, noch andere Arrangements zu treffen. Sie mißlangen
allesamt; wir hatten General Gylby unsere Hilfe zugesagt; am Nachmittag des
zweiten Weihnachtstages machte ich mich nach Dunwinnie auf den Weg.
    Ich will nicht verhehlen, daß ich mein Abteil auf dem Kaledonischen
Bahnhof in recht verdrießlicher Stimmung bestieg – und daß diese Stimmung sich
nicht besserte, sondern umso verdrießlicher wurde, als ich sah, daß ich meinen
alten Schulkameraden Lord Clanclacket zum Reisegefährten hatte. Bei allem
Respekt, der einem Senator des Rechtskollegiums gebührt, muß man es doch sagen:
Clanclacket ist ein alter Langweiler. Und nicht nur ein Langweiler, sondern ein
eiskalter Fisch dazu: der letzte, dem man auf einer Eisenbahnfahrt
gegenübersitzen möchte, die schon für sich genommen langweilig und kalt genug
zu werden verspricht.
    Wir waren schon auf der Brücke über den Forth, bevor Clanclacket zum
ersten Mal sein Schweigen brach. »Na, Wedderburn«, sagte er dann, »Sie fahren
in den Norden?«
    Das ist genau die Art von hintersinnigen Fragen, mit denen
Clanclacket ahnungslose junge Advokaten in die Falle lockt. Ich bestätigte ihm
mit knappen Worten, daß ich in der Tat in Richtung Norden unterwegs sei, und
fügte noch die Vermutung hinzu, daß das ja wohl bei ihm nicht anders sei.
    »Eine Woche zum Ausruhen in Pertshire«, entgegnete er. »Und Sie,
Wedderburn, fahren Sie auch in die Ferien?«
    »Ich bin beruflich unterwegs – eine kleine Familienangelegenheit.
Sehen Sie nur, Clanclacket, die Flotte liegt im Hafen. Was meinen Sie, kann das
dort die Renown sein, gerade gegenüber von Rosyth?«
    Doch mein Reisegefährte ließ sich nur einen kurzen Augenblick lang
von solchen Marineangelegenheiten zerstreuen, nicht länger, fürchte ich, als
die schiere Höflichkeit gebot. Wir ratterten noch immer zwischen den Stäben der
Brücke hindurch, als er auf sein altes Thema zurückkam. »Bis wohin fahren Sie?«
    »Ich steige in Perth um. Darf ich Ihnen mein Blackwood ’ s anbieten?«
    Clanclacket nahm die Zeitschrift – und ich muß sagen, daß es mir
nicht leichtfiel, sie aus der Hand zu geben – und studierte den Umschlag, wie
er ein unbekanntes Dokument studiert hätte, das als Beweisstück vorgelegt wird.
Dann sagte er schwerfällig: »Ah, Blackwood ’ s . Vielen Dank. Wunderbar. Sehr gut.« Woraufhin er es
umständlich verstaute – so umständlich, daß es nicht wirklich zuviel wäre zu
sagen, daß er sich darauf setzte. »Und wohin, sagten Sie, Wedderburn, steigen
Sie in Perth –«
    »Dunwinnie.«
    »Dorthin ruft Sie die Arbeit?«
    » Meine Arbeit, mein lieber Clanclacket,
ruft mich dorthin oder doch in die Nähe.«
    Für eine Weile brachte der Nachdruck, mit dem ich das sagte, ihn zum
Schweigen, doch wir hatten kaum North Queensferry hinter uns gelassen, als er
es mit einer neuen Taktik versuchte.
    »Ah ja – Dunwinnie. Ein hübscher Ort. Habe allerdings nicht viel
Bekanntschaft in dieser Gegend. Kennen Sie die Frasers von Mervie?«
    »Nein.«
    »Die Grants von Kildoon?«
    »Ich glaube, ich habe Colonel Grant einmal kennengelernt. Aber näher
kenne ich ihn nicht.«
    »Die Guthries von Erchany?«
    »Soviel ich weiß, bin ich nie einem Mitglied der Familie begegnet.«
    »Die alte Lady Anderson von Dunwinnie Lodge?«
    »Mein Vater war mit ihr befreundet. Doch die Kanzlei hat nie für sie
gearbeitet, und wenn ich mich recht entsinne, haben wir uns nie gesehen.«
    Einige Minuten lang verfiel Clanclacket wieder in ratloses
Schweigen. Ich gratulierte mir in Gedanken, wie gut ich die gefährlichen
Klippen umschifft hatte. Doch nicht lange, dann setzte er von neuem an. »Wie
steht es mit den anderen Familien dort? Kennen Sie davon jemanden?«
    Mit großer Befriedigung erwiderte ich: »Nicht eine Menschenseele.«
    Das – wie Aeneas gesagt hätte – setzte ihn schachmatt. Und da er nun
keine Informationen erlangen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig als

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