Klagelied auf einen Dichter
vermuten, nicht von großer Bedeutung, und Anbauten aus dem späten
siebzehnten Jahrhundert haben die mittelalterliche Strenge ein wenig
abgemildert, wenn auch nicht zerstört. Doch mein erster Eindruck war ein
Anblick von solch düsterer Macht und so unendlicher Einsamkeit – wie ein
menschenscheues Ungeheuer, das dort in der Einöde kauerte, in seiner Höhle aus
Lärchen und Schnee –, daß es mich nicht größer hätte beeindrucken können, wäre
König Arthurs Tintagel so unvermittelt vor uns erschienen. Besonders
eindrucksvoll war der Turm, massig und dabei ungewöhnlich hoch, wahrscheinlich
ebensosehr als Beobachtungsposten wie als Wehrturm gebaut. Nun wo ich die
schroffen Kanten aus der Ferne sah, konnte ich Gylbys instinktives Wissen
verstehen, daß ein Mann, der von diesem Turm gestürzt war, nicht mehr am Leben
sein konnte.
Wir fuhren über eine Zugbrücke und gelangten in den Innenhof.
»Endlich wieder daheim!« rief der junge Gylby munter und half mir beim
Aussteigen.
Das erste, was mir auffiel, waren – genau wie bei den unverhofften
Gästen auf Erchany einige Abende zuvor – die Hunde; von ihren Zwingern am
anderen Ende des Hofes aus ließen sie keinen Zweifel daran, wie sehr sie unsere
Ankunft mißbilligten. Das nächste, was ich sah, war eine recht gebrechliche
alte Frau in Schultertuch und Winterstiefeln, die uns mit allen Anzeichen von
Eile und Besorgnis entgegengetappt kam. Einen Augenblick lang befürchtete ich
beinahe, daß sie von einem neuen Unglück künden würde, doch sie rief uns nur
eifrig entgegen: »Haben Sie an mein Gift gedacht, Mr. Gylby? Sie haben es doch
nicht vergessen, Sir?«
»Alles da, Mrs. Hardcastle.« Und Gylby reichte ihr die Päckchen vom
Beifahrersitz. Sie machte Anstalten, sich damit genauso eilig zu entfernen, wie
sie gekommen war, doch dann bemerkte sie, daß noch ein Fremder angekommen war.
Nicht ohne Schmerzen in den Knochen – malte ich mir aus – begrüßte sie mich mit
einem linkischen Hofknicks. Gylby machte uns formvollendet bekannt: »Mr. Wedderburn – Mrs. Hardcastle.«
»Sir«, sagte sie, »Sie sollten am besten gleich erfahren, was Mr. Gylby schon weiß. Es gibt entsetzlich viele Ratten auf Erchany.« Sie pochte mit
dem Finger auf ihre Päckchen und blickte sich ängstlich um. »Aber ich werde es
nicht mehr länger dulden! Ich bin eine alte Frau, und von jetzt an will ich
nachts schlafen.« Sie senkte die Stimme zu einem heiseren Flüstern und wies mit
dem Kinn hinüber zu einem Mann, der bei den Hundezwingern hervorgekommen war.
»Aber sagen Sie meinem Mann nichts davon! Er ist kein guter Mann. Manchmal
hetzt er sie auf mich.«
»Die Hunde, Mrs. Hardcastle?«
»Die Ratten.«
Und Mrs. Hardcastle, die Päckchen unter ihrem Tuch verborgen, eilte
davon. Ich wandte mich wieder Gylby zu. »Ist das Hardcastle dort hinten? Ich
glaube, ich sollte ein paar Worte mit ihm sprechen, bevor wir ins Haus gehen.«
Ich begab mich ans andere Ende des Hofes. Der Verwalter des
Gutsherrn fütterte den Hunden eben ihr dürftiges Mahl und bedachte sie dabei
mit den wüstesten Beschimpfungen. »Platz, Caesar«, rief er eben, als ich
herankam, »Platz, du räudiger Köter!«
Der Schnee hatte meine Schritte gedämpft, und er hatte mich nicht
kommen gehört. »Schöne Tiere haben Sie da, Mr. Hardcastle«, sagte ich ihm
freundlich ins Ohr.
Er fuhr herum und sah mich mißtrauisch an – und das vermutlich nicht
nur der offensichtlichen Ironie meiner Bemerkung wegen. Das schurkische Wesen
stand ihm, da hatte Gylby ganz recht, im Gesicht geschrieben. Was ihm jedoch
fehlte, war das Selbstvertrauen des Gauners; im Gegenteil: er machte einen
geradezu jämmerlich unsicheren Eindruck. Mürrisch und mit einigem Zögern
antwortete er nur: »Kann sein.«
»Das ist also Caesar? Eine Dosis Wurmmittel würde ihm wahrscheinlich
guttun, und dann ein wenig frisches Fleisch. Welcher von ihnen, Mr. Hardcastle,
ist denn Doktor?«
Mit einer schlaffen Geste zeigte er auf ein Tier, das weit hinten im
Zwinger am Boden lag. »Das da ist er.«
»Tatsächlich? Lassen Sie ihn einmal genauer ansehen. Doktor! He,
Doktor! Wissen Sie was, Mr. Hardcastle? Ich habe fast das Gefühl, Doktor ist
taub.«
Hardcastles Züge hellten sich auf. »Das stimmt, er ist taub.«
»Was Sie nicht sagen! Das ist aber doch ungewöhnlich, bei einem so
jungen Hund. Haben Sie sich denn vergewissert? Wir könnten es jetzt gleich
ausprobieren.«
»Teufel nochmal!« rief Hardcastle.
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