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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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ob er nicht sogar geradezu souverän war. Miss Guthrie, die sich,
ohne daß sie einen triftigen Grund dafür nennen konnte, auf dem Wehrgang
befunden hatte, von dem der Gutsherr gestürzt war, war allem Anschein nach dessen
Erbin. Den Schluß, der sich da aufdrängte, hatte Speight nicht einmal
angedeutet.
    »Und Sie meinen, Inspektor, es war entweder Lindsay oder niemand?«
    Speight nickte entschieden. »Eine alte Fehde, ein neuer Streit, ein
Zeuge, der ihn in rasender Wut sah, die aufgebrochene Schublade, das gestohlene
Gold, er und das Mädchen verschwunden. Mehr kann man doch wirklich nicht
verlangen.«
    »Höchstens noch, daß der Leiche die Finger abgehackt werden.«
    Der Inspektor blickte ärgerlich vor sich hin. »Das haben Sie also
auch gehört? Das zeigt nur, was für dummen und abscheulichen Gerüchten die
Leute auf dem Lande Glauben schenken. Geben Sie nichts auf dieses Gerede, Mr.   Wedderburn. Sie und ich, wir müssen uns an die Fakten halten.«
    »Ein guter Grundsatz, Inspektor. Ich bekomme ihn oft von meinem
Freund, dem Richter Lord Clanclacket, zu hören. Und Sie meinen, es gibt keine
andere Möglichkeit, die Fakten zu deuten?«
    Speight lächelte beinahe glücklich. »Mr.   Wedderburn, ich will Ihnen
etwas verraten. Die Amerikanerin war es nicht. Nach dreißig Jahren
Polizeidienst hat man seine Erfahrungen. Und meine Erfahrung sagt mir, daß wir
da gar nicht erst unsere Zeit verschwenden müssen. Das ist ein feines Mädchen.«
    »Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß mich das sehr zu hören freut.
Doch könnte sich immer noch herausstellen, daß Neil Lindsay ein feiner Junge
ist.«
    Speight lachte. »Das können wir ja entscheiden, wenn wir ihn gefaßt
haben. Ich bleibe dabei: Lindsay oder niemand. Und ich denke mir, im Grunde
sind Sie doch meiner Meinung, Sir.«
    »Nein, Inspektor, das bin ich nicht. Schließlich habe ich nicht Ihre
Erfahrung mit der Welt des Verbrechens. Und ich habe eine andere Theorie.«
    »Mr.   Wedderburn, es wäre mir eine Ehre, sie zu hören.«
    »Wenn, wie ich hoffe, aus meiner Ahnung eine Überzeugung wird,
werden Sie sie heute nachmittag beim Sheriff zu hören bekommen. Aber – wie
gesagt – ich finde, es ist noch ein wenig früh für Überzeugungen.«

IV.
    Miss Guthrie empfing mich im – wie der Raum in diesen Berichten
stets genannt wird – Schulzimmer. Ich sah sogleich, daß sie jene Mischung aus
Eleganz und Elan hatte, die so vielen kultivierten Frauen aus der Neuen Welt
ihren entwaffnenden Charme gibt; als Inspektor Speight sie »ein feines Mädchen«
nannte, da hatte er sie nicht nur treffend beschrieben, sondern es zeugte auch
von einem bemerkenswert guten Geschmack. Offenbar war sie entschlossen, mich
kühl und sachlich zu empfangen. Ich hatte den Eindruck, daß sie mit den
Grundbegriffen des Rechtswesens vertraut war; trotzdem fand ich es angebracht,
ihr in ein paar Worten die Beziehung zwischen Anwalt und Mandanten
auseinanderzusetzen, von der hierzulande ausgegangen wird. Sie hörte mir mit
sehr zuvorkommender Miene zu – der Leser soll nicht glauben, mir sei nicht
bewußt, daß ich bei solchen Gelegenheiten bisweilen ein wenig zum Umständlichen
neige –, und schon bald darauf hatten wir es uns gemeinsam auf einem Sofa
bequem gemacht. Miss Guthrie war sogar so freundlich und gestattete mir, meine
Pfeife anzuzünden.
    »Bisher«, sagte ich, »habe ich nur mit einem gewissen Mr.   Bell
gesprochen, mit unserem Freund Mr.   Gylby – von dem ich ausführliche Berichte,
schriftlich wie mündlich, erhalten habe – und mit beiden Hardcastles. Gylbys
Charakterskizze von Hardcastle scheint mir sehr scharfsinnig.«
    »Noel«, sagte Miss Guthrie munter, »ist ein tüchtiger Junge.«
    »Kein Zweifel. Von ihm habe ich auch – wohlgemerkt ursprünglich an
eine sehr vertraute Adressatin gerichtet – eine Art Charakterskizze von Ihnen,
Miss Guthrie.«
    Diesmal sagte sie nur »Oh!«, vielleicht ein wenig zurückhaltender.
    »Er schreibt, daß Sie nicht zum Romantischen neigen.«
    »Das finde ich aber nicht nett von Noel. Alle braven Mädchen sind
romantisch.«
    Ich lächelte. »Manche verbergen es vielleicht.«
    Sybil Guthrie zündete sich eine Zigarette an. »Mr.   Wedderburn«, sagte
sie, »ist das die Art, unsere Geschäfte zu besprechen?«
    »Ich für meinen Teil«, erwiderte ich ernst, »halte sie für durchaus
angemessen.«
    »Nun gut. Und ich bin also ein romantisches Mädchen und Noel hat
sich geirrt. Verraten Sie mir auch warum?«
    »Überlegen Sie

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