Klagelied auf einen Dichter
doch nur, wie Sie nach Erchany gekommen sind, Miss
Guthrie. Mr. Gylby, der ja selbst zum Mitspieler in Ihrem Plan wurde, ist vor
allem beeindruckt von dessen Raffinesse und Effizienz. Doch jemand wie ich, der
die Dinge aus einem gewissen Abstand betrachtet, erkennt darin den romantischen
Streich, der es ist. Sie hatten, soviel ich weiß, das Urteil eminenter
Mediziner, daß Mr. Guthrie auf keinen Fall für unzurechnungsfähig zu erklären
war, und einen praktischen Nutzen konnte der Besuch, den Sie ihm inkognito
abstatten wollten, für Sie nicht haben. Aber die aufregende Idee gefiel Ihnen – romantisch und aufregend –, die Burg zu belagern und sie nicht im Sturm,
sondern durch eine List einzunehmen. Sogar ein triumphierendes Telegramm an
Ihren amerikanischen Anwalt in London hatten Sie geschickt. Worum ging es Ihnen
denn letzten Endes? Familiengeschäfte? Nicht im mindesten. Ihnen ging es um
Abenteuer – und zwar Abenteuer mit einer leichten Prise Gefahr, denn Mr. Guthrie war ein sehr exzentrischer Mann. Noel Gylby war so geblendet von, wenn
man so sagen darf, Ihren strategischen Fähigkeiten, daß er gar nicht bemerkt
hat, wie romantisch das Motiv war, das hinter allem steckt.«
Miss Guthrie blies einen zarten Rauchschleier zwischen uns. »Und was
folgt daraus, Mr. Wedderburn?«
»Ich frage mich, ob dieser selbe Impuls nicht auch ein wenig Ihre
Wahrnehmung der Vorfälle im Turm gefärbt hat.«
»Sie meinen, Ranald Guthrie hat sich doch nicht selbst umgebracht?«
»Im Gegenteil, ich bin voll und ganz überzeugt, daß es Selbstmord
war. Glauben Sie mir, wenn ich den Eindruck gewonnen hätte, daß die
Darstellung, die Sie gegenüber Mr. Gylby gaben, grundsätzlich nicht der
Wahrheit entspricht, dann wäre ich niemals bereit gewesen, Ihre Interessen
wahrzunehmen. Und nun, Miss Guthrie, sollten wir unsere weiteren Besprechungen
besser am Ort des Geschehens führen.«
»Im Turm? Müssen wir denn da hinauf? Mir ist das Ding jetzt ein
Greuel.«
»Trotzdem denke ich, daß es, wenn Sie so freundlich sein wollen und
wenn die Polizei uns die Erlaubnis erteilt, nützlich sein wird.«
Mein Freund Inspektor Speight war so freundlich und überließ mir
einfach die Schlüssel zum Treppenhaus und zur Studierstube des Toten; ich
kehrte zu Miss Guthrie zurück, und wir machten uns an den mühsamen Aufstieg.
Oben angelangt, schaute ich mich mit unverhohlener Neugier um. In einer Linie
mit der Tür, an der wir standen, und nur wenige Schritt entfernt, fand ich die
Tür, die zu dem kleinen Schlafzimmer führen mußte. In der Mitte der Wand zur
Linken war die Tür, die zu den Zinnen hinausführte. Mitten im Raum stand ein
stabiler Tisch, der als Schreibtisch diente. Und überall waren Bücher.
Was mich anrührte, war die Alterslosigkeit dieses Ortes: es gab
nichts hier, was nicht schon seit Generationen am selben Ort sein konnte. Der
Schluß lag nahe, daß der verstorbene Mr. Guthrie von mehr als nur konservativer
Gesinnung gewesen war – ganz abgesehen davon natürlich, daß er keinen Penny
ausgegeben hatte, wenn es sich vermeiden ließ. Eher zu meinem Vergnügen ließ
ich den Blick auf der Suche nach etwas aus dem zwanzigsten oder wenigstens aus
dem neunzehnten Jahrhundert schweifen, und ich fand es zu meiner Überraschung
in Form eines Telefons auf dem Schreibtisch. Ich warf Miss Guthrie einen
verblüfften Blick zu. »Aber Erchany hat doch gewiß keinen Telefonanschluß!«
rief ich.
»Natürlich nicht, Mr. Wedderburn; so dumm, daß wir das nicht
probiert haben, waren wir nicht. Es muß so eine Art Haustelefon zu den
Dienstbotenräumen sein. Ich habe in der ganzen Burg kein anderes gesehen.«
»Eine interessante Anschaffung für einen so geizigen Hausherrn. Die
Polizei wird zweifellos die Räumlichkeiten gründlich untersucht haben; trotzdem
würde ich vorschlagen, daß wir, bevor wir weiterreden, sie selbst noch einmal
einer kleinen Inspektion unterziehen. Lassen Sie uns an dem aufgebrochenen
Sekretär beginnen.«
Das Möbelstück, zu dem meine Mandantin mich führte, hätte jeden
Antiquitätenfreund begeistert, doch als Geldschrank schien es mir denkbar
ungeeignet. Es verfügte nur über die eine, aufgebrochene Schublade – es hatte
vermutlich genügt, kräftig daran zu ziehen –, auf deren Boden noch die
einzelnen Münzen lagen, von denen Gylby schreibt. Ich muß sie wohl in einer Art
geistesabwesender Verwunderung angesehen haben, und Miss Guthrie erriet, was
mir durch den Kopf ging. »Ich
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