Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
behelfsmäßig miteinander, um die Wassertanks des Bootes befüllen zu können. Es war kein Wasser an Bord. Als er das Schiff gekauft hatte, war alles Nützliche und Tragbare schon längst von seinen Vorbesitzern herausgeschafft worden.
Einer der Tanks wies ein großes Leck auf, wie Mallory (leider zu spät) bemerkte. Trotz aller Eile und Verzweiflung musste er lachen bei der Vorstellung, in das kalte, herzlose Vakuum des Alls zu fliehen, während dicke Wassertropfen durch die Kabine schwebten. Doch er lachte nur kurz. Er hatte weder die Zeit noch die Absicht, sich in erheiternden Gedanken zu ergehen. Draußen, am Fuß des Bergs, hinter den Wäldern, waren die schönen und von den Menschen so hoch geschätzten Pitar damit befasst, seine Mitmenschen abzuschlachten und auszuweiden. Die edlen Pitar. Die freundlichen Pitar.
Er musste hier weg. Irgendwie musste er den Suchtrupps entgehen, die sich sicherlich schon über den Planeten verteilten. Möglicherweise hatten sie ihr Spinnennetz noch nicht fertig gewoben. Er brauchte nur diese eine Fliege sein, die zwischen den Spinnweben hindurchschlüpfte. Die ganze Nacht hindurch rackerte er sich ab, um seine Flügel entsprechend zu präparieren.
Zwei Stunden vor Sonnenaufgang war er soweit. Ob dies auch für sein Rettungsboot galt, müsste sich noch herausstellen. Während der Flucht. Falls er bei seinen Vorbereitungen einen Fehler gemacht hatte, falls sich Probleme ergäben, die zu beheben er nicht imstande wäre, nun, dann würde er genauso schnell sterben, als wenn er den Invasoren in die Hände fiele.
Er setzte sich in den Pilotensitz und überprüfte ein letztes Mal die Instrumente. Die Instrumente, die er größtenteils persönlich repariert oder ausgetauscht hatte, zeigten selbstsicher an, dass ihre jeweiligen Komponenten funktionierten. Er ertappte sich bei dem Wunsch, mehr Zeit mitjedem einzelnen Instrument verbracht zu haben. Hätte er sich doch nur ein wenig mehr Mühe beim Einbau gegeben! Doch das Rettungsboot war für ihn nur ein Hobby gewesen, etwas, mit dem er sich in seiner Freizeit vergnügen konnte. Nun würde sein Leben von der Fachkenntnis abhängen, mit der er seinem Hobby gefrönt hatte.
Hatte er vielleicht noch etwas vergessen, etwas übersehen? Sobald er die Startsequenz eingeleitet hätte, gäbe es kein Zurück mehr, keine Möglichkeit mehr für Nachbesserungen am Schiff. Falls er die Startsequenz unterbräche, könnte das alte Rettungsboot sie wahrscheinlich nicht mehr fortsetzen, und er traute sich nicht zu, die Sequenz wieder in Gang zu bringen. Wenn er den Startknopf drückte, dann würde er auch starten - zum Teufel mit den Konsequenzen.
Dann fiel ihm etwas ein. Bei all der Zeit, die er in der Werkstatt verbracht hatte und außer Haus für seine Auftraggeber unterwegs gewesen war, hatte er stets viele Live-Unterhaltungs- und Nachrichtensendungen verpasst. Wenn er nicht 3-D schaute, war das Gerät stets auf Aufzeichnungsmodus geschaltet. Sein 3-D hatte sicher in letzter Zeit die Kurznachrichten aufgezeichnet. Es hatte Präsentationen und Sportveranstaltungen aus der Hauptstadt und überall aus der Kolonie aufgenommen. Bedauerlicherweise würden die letzten Übertragungen, die es empfangen hatte, optischer Müll sein.
Doch die Bilder, die er vor wenigen Stunden auf dem Rettungsboot gesehen hatte, die Aufnahmen der verwaisten Mediensonde, wären sicher vom integrierten Rekorder seines 3-Ds aufgezeichnet worden!
Er hatte keine Zeit, es zu überprüfen. Er öffnete die Konsole und machte sich so lange daran zu schaffen, bis er fand, was er suchte. Er entfernte die Speichersphäre und steckte sich den eindeutigen Beweis der pitarischen Perfidie in die Tasche. Dann schloss er sich im Rettungsboot ein und schlug die widerspenstige Schleusentür zu. Nachdem er sie druckdicht gemacht hatte, setzte er sich in den Pilotensitz und legte das Gurtwerk an. Er war kein ausgebildeter Pilot, weder für ein Schiff von der Größe des Rettungsboots noch für irgendein anderes. Doch das Konzept, das sich hinterjedem Rettungsboot verbarg, die Idee, welche die Konstrukteure beim Entwurf verfolgten, war, dass im Notfall sogar völlig unqualifizierte Passagiere imstande sein mussten, das Boot zu steuern. Als ehemaliger Schiffstechniker war er weit besser auf die Bedienung der Bordinstrumente vorbereitet als der Durchschnittsbürger, auch wenn sie so veraltet waren wie die, die er nun vor sich hatte.
Die Sonne von Argus würde schon bald im Osten am Horizont
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