Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
ich hatte noch nie zuvor gesehen, wie jemand versucht, sich in sich selbst zu verkriechen.« Hinter den drei Offizieren stand die Ordonanz der Kommandeurin, offenbar fasziniert von der Geschichte des Chefarztes.
»Als ich erkannte, dass er sich sehr wahrscheinlich selbst verletzen würde, bin ich auf der Stelle stehen geblieben. Ich habe versucht, Blickkontakt zu ihm herzustellen, und habe auf ihn eingeredet. Ich habe ihm alles erzählt, was mir in den Sinn kam, nur damit er eine nicht bedrohliche und hoffentlich beruhigende Menschenstimme hörte. Ich wollte, dass er sich entspannt, dass sich seine Herzfrequenz senkt, die wahrscheinlich gefährlich hoch war, und ich wollte sein Vertrauen gewinnen.«
»Und ist Ihnen das gelungen?« Mit einem Ohr lauschte Lahtehoja angestrengt darauf, ob sich in der Genesungskabine irgendetwas rührte; doch das einzige Geräusch außer ihren eigenen Stimmen waren die leisen Piep- und Summlaute der leistungsstarken, geistlosen Apparate.
»Lange genug, um ihn mit meinem Subkutaninjektor mit Beruhigungsmitteln vollzupumpen. Ich war darauf gefasst, ihn anzuspringen, um Hilfe zu rufen oder wieder auf den Korridor zu fliehen, je nachdem, wie er reagiert hätte. Komisch - er ist einfach nur bewusstlos geworden. Hat keinen Mucks von sich gegeben. Wir haben ihn durch die enge Tür auf den Gang geschleppt und von dem klaustrophobisch engen Schiff der UnopPatha auf eines von unseren Schiffen verlegt. Bis vor einer Stunde hat er friedlich geschlafen, dann ist er aufgewacht.«
»Aufgewacht?« Vaan Leuderwolk blinzelte. »Ich denke, er liegt im Koma?«
»Nun gut, vielleicht ist ›aufgewacht‹ ein bisschen übertrieben. Er hat die Augen geöffnet und atmet selbsttätig. Ansonsten keinerlei Reaktion. Schweres Trauma.« Er breitete hilflos die Arme aus. »Viel kann ich nicht für ihn tun. Sicher, wir sind entsprechend ausgebildet und ausgestattet, um eine ganze Reihe von Kriegspsychosen behandeln zu können. Aber wohin dieser Bursche sich auch immer zurückgezogen hat: Er ist weit weg. Ich könnte versuchen, ihn da herauszuholen …«
»Warum machen Sie das nicht?«, hakte Lahtehoja sofort nach.
»Wie ich schon sagte: wenn ich einen Fehler begehe, könnte ich ihn noch viel tiefer in den Abgrund drängen. So tief, dass er vielleicht nie wieder herauskommt. Ich bin nicht bereit, dieses Risiko einzugehen.«
»Angenommen, ich ändere meine Meinung und befehle Ihnen, dass Sie es versuchen?«
Der Sanitätsoffizier versteifte sich ein wenig. »Dann würde ich meinen Posten verlassen und mich im Bau melden. Ich versichere Ihnen, dass mir in diesem Fall jeder meiner Untergebenen folgen wird, einer nach dem anderen.«
»Bleiben Sie ruhig, Ben!«, beschwichtigte sie ihn. »Ich musste diese Frage einfach stellen. Ich habe nicht vor, die Entscheidung eines Arztes aufzuheben oder zu übergehen. Verdammt! Das bedeutet, wir müssen ihn auf der Erde weiterbehandeln lassen, ohne seine Vorgeschichte zu kennen. Die werden wir dann wohl im 3-D präsentiert bekommen, wie alle anderen auch.«
»Falls er sich je wieder so weit erholt, dass er seine Geschichte erzählen kann«, erinnerte der besonnene Arzt sie.
»Was wissen wir denn überhaupt über ihn?«, fragte vaan Leuderwolk. »Kennen wir seine Identität? Was verrät uns seine Kleidung? Haben wir Hinweise über seine Herkunft?«
»Seine Kleidung war schmutzig.« Holomusa, von Berufs wegen pingelig, verzog angewidert das Gesicht, als er sich die Ekel erregende Kleidung ins Gedächtnis rief. »Ich hätte sie zu gern verbrannt.« Als er die besorgten Gesichter der Kommandeurin und des Captain sah, beruhigte er sie rasch’. »He, bekommen Sie in meiner Gegenwart bloß keinen Schlaganfall! Ich versichere Ihnen, alles wurde für die weitere Untersuchung ordentlich verpackt. Seine Kleidung hatte nichts Spektakuläres oder Besonders an sich, und das spricht schon für sich, finde ich. Es ist Kleidung, wie man sie im Haus tragen würde - oder auf einem Schiff. Lässig und häuslich. Keine Uniform. Nichts war in seinen Taschen oder heimlich im Stoff eingenäht.
Er trug keinen Ausweis bei sich. Nichts. Mir wurde gesagt, dass es sich bei dem Raumanzug, in dem die UnopPatha ihn gefunden haben, um ein sehr altes Modell handele. Der Anzug war in schlechtem Zustand, gerade noch druckfest. Gewiss wäre er hier auf diesem Schiff nie durch die Sicherheitskontrollen gekommen - und auch auf keinem zivilen Schiff, das Wert auf seine Zulassung legt. Einige Spuren am Raumanzug
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