Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
Nähe des linken Auges berührt und dann Ihren Finger zum Mund geführt.« Chimbu klang gelassen, professionell. »Was sollte das?«
»Ich habe Feuchtigkeit in seinem Augenwinkel gesehen. Ich dachte, das könnte Wasser sein, das ich nach dem Waschen nicht abgetupft hatte. Aber es war salzig. Tränenflüssigkeit.«
Der Doktor nickte. »Er hat auch die Lippen bewegt. Die Raummikrofone sind zwar empfindlich, aber nicht perfekt. Hat er irgendetwas zu Ihnen gesagt?« Die ruhige Nachdrücklichkeit in der Stimme des Arztes beunruhigte sie. Chimbu war zwar kein Roboter, galt aber im Krankenhaus auch nicht gerade alsjemand, der sonderlich viel Gefühl zeigte.
Sie befeuchtete sich die Lippen, ehe sie antwortete. »Ja. Er hat gesagt: ›Nicht.‹«
»Das ist alles?« Der Doktor legte das Gesicht in Falten. »›Nicht‹?«
Als sie nickte, wirkte er enttäuscht. »Was ›nicht‹?«
»Ich glaube, er wollte nicht, dass ich den Raum verlasse.«
»Ah.« Chimbu blickte wieder zu dem stabilisierten, reglosen Patienten und sah ihn für einen langen Moment an. »Dann bleiben Sie hier! Wenn er auch nur angedeutet hat, dass er Sie hier haben will, sollten Sie bleiben.«
»Wie bitte, Herr Doktor? Ich muss meinen Rundgang noch zu Ende bringen« Was ist hier nur los?, fragte sie sich.
»Nicht mehr«, bestimmte er. »Ab jetzt sind Sie von all Ihren anderen Pflichten entbunden. Ein Ersatz für Sie wird schon in diesem Moment eingewiesen. Ab sofort sind Sie exklusiv diesem Patienten hier zugeteilt. Darüber hinaus wird Ihre Dienstzeit verlängert, Sie machen jetzt Zwölf-Stunden-Schichten.« Mit erhobener Hand kam er ihren drohenden Einwänden zuvor. »Außerdem wird Ihr Lohn verdoppelt. Nein, verdreifacht.« Mehr zu sich selbst als zu ihr murmelte er: »Die Klinikverwaltung wird das auf meine Empfehlung hin genehmigen. Sie haben in dieser Sache sowieso keine andere Wahl.« Er sah ihr wieder in die Augen und wurde sich wieder der Tatsache bewusst, dass er mit einem anderen menschlichen Wesen sprach und nicht mit einer Maschine oder einem Automaten.
»Ich würde gerne ein weiteres Bett hier aufstellen lassen, damit Sie hier schlafen können, wenn Sie nicht im Dienst sind.«
Offenen Mundes starrte sie ihn an. »Herr Doktor? Ich bin stolz auf meine Arbeit, aber ich führe auch noch ein Privatleben nebenher, wissen Sie?«
»Ich weiß, ich weiß.« Er machte einige besänftigende Gesten. »Sie werden für Ihre Entbehrungen voll entschädigt. Und sobald der Patient auch bewusst mit anderen spricht, bekommen Sie die Erlaubnis, das Krankenhaus zu verlassen. Dann können Sie einen ausgedehnten Urlaub machen, auf unsere Kosten.«
Ihre Augen weiteten sich. »Die ›Erlaubnis‹, das Krankenhaus zu verlassen? Was soll das?« Sie sah an ihm vorbei zu dem Mann im Bett - zu dem gewöhnlichen, nun künsdich ins Koma versetzten Mann, dessen kurzes Erwachen einen unerwarteten Tumult hervorgerufen hatte. »Wer ist dieser ›MrJones‹, den Sie Alwyn Mallory genannt haben?«
»Sie sind eine gute Schwester, Tse. Ihnen entgeht nicht viel.« Chimbu schob sich seine Untersuchungssonde von der Stirn zurück, sodass sie fest gegen seinen fliehenden Haaransatz drückte. »Haben Sie die Sache über Treetrunk mitbekommen?«
Sie musterte sein Gesicht. Er sah plötzlich müde aus, von unerwarteter und unerwünschter Verantwortung niedergedrückt. »Ich lebe nicht hinterm Mond. Natürlich hab ich das mitbekommen. Was hat die Sache mit diesem Mallory zu tun?«
»Wenn Sie sich um ihn kümmern sollen, müssen Sie es ohnehin erfahren, also kann ich es Ihnen auch gleich verraten.« Der Chefarzt war so ernst, wie Tse ihn noch nie erlebt hatte. »Er könnte ein Überlebender des Massakers sein.«
Überwältigt von der Neuigkeit, brachte Tse für einen langen Moment kein Wort über die Lippen. Schließlich stammelte sie: »Das, was auf Treetrunk passiert ist, hat keiner überlebt.«
»Sie haben gehört was die Frau von der Behörde gesagt hat. Er wurde in einem Rettungsboot auf dem inneren Mond des Planeten gefunden, traumatisiert und stumm. Er könnte von einem vorüberfliegenden Schiff geflohen sein, oder vielleicht hat ihn eine verärgerte Mannschaft ausgesetzt. Oder … er ist ein Überlebender der Katastrophe. Der einzige Überlebende.« Er sah ihr tief in die Augen. »Verstehen Sie jetzt? Verstehen Sie’s?«
»Ja, Herr Doktor.« Sofern man etwas Unmögliches verstehen kann, dachte sie.
»Er möchte, dass Sie hier bleiben. Vielleicht hat er auch etwas
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