Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
Treetrunk. Während die aufgehende Sonne Mallorys Berghang wärmte, frühstückte er gemütlich auf der von Hand gezimmerten Veranda, um anschließend einen anregenden und genüsslichen Tag in der schlichten Werkstatt zu verbringen, in der seine Hobby-Utensilien untergebracht waren.
Von seinem Haus bis zur separaten Werkstatt war es nur ein kurzer Fußweg. Zwar hatte er sich den Weg überdacht, um in der Regenzeit von Argus V vor Regen und Schnee geschützt zu sein, doch war die Überdachung heute überflüssig. Die Sonne schien, und es war kaum eine Wolke am Himmel. Die Werkstatt selbst war ein großes, rundum geschlossenes Gebäude, in Braun- und Grüntönen gestrichen, damit es optisch mit der umliegenden Natur verschmolz. Wäre ein derart großes Gebäude ungetarnt gewesen, hätte es jeden neugierigen Passanten angelockt. Da Mallory nicht gestört werden wollte und sein Bedürfnis nach Privatsphäre regelrecht fanatisch verfocht, hatte er sowohl sein Haus als auch seine Werkstatt getarnt, damit ihn die sich rasch ausdehnenden Siedler nicht belästigten. Vor allem die Neuankömmlinge scheute er. Sie gaben sich stets überspannt und freundlich, zwei Eigenschaften, die er an Nachbarn nicht schätzte.
Vier Monate zuvor hatte er mit dem alten Rettungsboot einen kurzen Flug unternommen, vom Hauptverwaltungsbezirk bis hinüber nach Demure und wieder zurück. Während der Flug so reibungslos und erfolgreich verlief wie erwartet, hatten sich unterwegs einige interne Bauteile gelockert. Mallory betrat das ungesicherte Boot, fand seine Werkzeuge exakt an der Stelle vor, wo er sie beim letzten Mal liegen gelassen hatte, und machte sich glücklich an die nötigen Reparaturen.
Mehrfach glaubte er an jenem Morgen, ein dumpfes Grollen in der Ferne zu hören. Obwohl keine Wolken am Himmel gestanden hatten, als er vom Wohnhaus zur Werkstatt geschlendert war, schob er das Grollen auf ein aufziehendes Unwetter. Auf Treetrunk konnte das Wetter jederzeit extrem umschlagen, und da der Sommer nicht mehr fern war, musste man ohnehin mit abrupten atmosphärischen Störungen rechnen. Vielleicht erzeugte auch ein Bauteam den Lärm, das am Rand von Weald neue Fundamente für große Gebäude aussprengte. Oder vielleicht waren es auch nur ausgelassene Jugendliche, die unweit seines Hauses Unfug machten. Er schenkte dem willkürlichen, sporadischen Donner kaum Beachtung.
Es war schon beinahe zwei Uhr als er, verschwitzt aber zufrieden, seine Profi-Werkzeuge beiseite legte und beschloss, etwas zu essen. Wie so oft hatte er das Mittagessen ausfallen lassen. Das ist einer der Vorteile, wenn man allein arbeitet: Man kann essen, wenn man Hunger hat, und nicht, wenn es von einem erwartet wird, dachte er, als er sich den Schweiß vom Gesicht wischte und sich erhob, um das Rettungsboot zu verlassen. Er verließ die Werkstatt, hielt wieder auf sein Haus zu - und blieb auf halbem Wege stehen. Mit der Hand schirmte er sich die Augen ab und starrte in Richtung der Hauptstadt. Rauchsäulen stiegen an verschiedenen Stellen in die kristallklare Luft auf und vereinten sich zu einer schmutzig braunen Wolke, die allmählich die Sonne zu verdecken begann. Was zum Teufel…?, dachte er.
Er rannte zum Haus. Irgendeine große Industriekatastrophe hatte sich in Weald ereignet. Momentan konnte er sich nicht vorstellen, was das für eine Katastrophe sein sollte. Die modernen Brandschutztechniken verhinderten, dass zerstörerische Flammen von einem Haus auf das andere übergreifen konnten. Trotzdem ließen die vielen Rauchsäulen und das ferne Leuchten der Flammen nur zwei Schlüsse zu: dass sich die Feuersbrunst ausdehnte und dass sie in verschiedenen Teilen der Stadt gleichzeitig ausgebrochen war.
Im Haus angekommen, schaltete er sein 3-D ein und wartete darauf, dass sich die holographische Darstellung aufbaute. Farben und Formen bildeten sich, fügten sich jedoch zu keinem Bild zusammen. Ganz gleich, wie sehr er sich an den Kontrollen zu schaffen machte, er konnte die flackernden Polygone und blitzenden Wolken nicht dazu bewegen, sich zu einem erkennbaren Bild zusammenzufügen. Auch auf sämtlichen Info-Kanälen empfing er nichts als statisches Rauschen. Dann empfing er nicht einmal mehr das Rauschen. Im Raum wurde es völlig still.
Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung.
Als Mallory wieder nach draußen lief, war er zwar noch nicht panisch, aber aufgeregt und besorgt. Wenn überhaupt, war die Rauchwolke am Himmel während seiner Abwesenheit noch größer
Weitere Kostenlose Bücher