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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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nicht, sie waren durchaus komplizierter als etwa nur »links – rechts«, zumal das Gefährt auch Kurven beschreiben konnte, was offenbar besonders gründlich geübt wurde. Auch in diesen Kurven, so schien es, wurde Wert darauf gelegt, die Kubusform beizubehalten und das Ganze nicht etwa zu krümmen.
    Wozu das in aller Welt? Escarlati konnte seinen Blick nicht von dieser rätselhaften, vielfüßigen Lebensform lösen.
    »Da kommt dann noch ein Heiliger drauf oder auch eine Maria«, sagte ein Passant, der Escarlatis Verwirrung erfasst hatte.
    Aus einem Torbogen näherte sich ein zweites dieser kollektiven Würfelwesen, ebenfalls von einem Voranschreitenden gelenkt, der, rückwärts gehend, die Form des Ganzen im Auge behielt und seine Kommandos rief.
    »Na, für die Semana santa natürlich, die Heilige Woche«, fuhr der Passant fort. »Sie üben den großen Umzug. Das ist nicht einfach, o nein. Schwerer, als Ihr glaubt. Man marschiert unter einem Holzpodest, das auf den Händen ruht. Da kann man nichts sehen, denn die Seiten sind bis zum Boden hinab mit Teppichen verkleidet. Früher, als ich jung war, habe ich auch mitgemacht.«
    »Ein wandelnder Würfel. Und wozu?«
    »Obendrauf kommt dann die Reliquie, welche es auch sein mag, vielleicht sogar ein ganzer Christus mit Holzkreuz und Schächern. Was glaubt Ihr, wie viel das wiegt?«
    »Einiges.«
    »So viel wie ein Haus. Bei uns war es immer eine Jungfrau. Aus Eiche. Mit Engel. Und der flog nicht durch die Luft, das könnt Ihr mir glauben. Es ist Schwerstarbeit. Man schwitzt, ächzt und hat keinen blassen Schimmer, wohin man geht«, sagte der alte Herr genüsslich. »Wie im Leben, nicht wahr? Ja, das waren noch Zeiten!«
    Nach und nach hatte sich eine kleine Menschenmenge um das Treiben versammelt, und auch Escarlati konnte sich von dem Anblick nicht so schnell losreißen.
    Noch ein paar kompakte Klafter Mensch krochen aus den Gassen auf den Platz heraus. Es war lustig anzusehen: Nun herrschte enges Treiben wie etwa bei einer nachgestellten Seeschlacht, die allerdings eher an das Gewirr von Nacktschnecken auf einem verregneten Salatbeet erinnerte. Vermutlich probte man nun die Abstimmung der Wege beim eigentlichen Ereignis.
    Einige der, vielleicht sollte man sagen Fahrzeuge, trugen, ähnlich einer freischwebenden Zeichnung, bereits die Umrisse des endgültigen Kubus über sich, aus dünnen Stäben zusammengezimmert, mit einigen Griffen, an denen wenigstens ein paar der Hände schon Halt finden konnten, von ferne wie in die blanke Luft eingeritzt; darüber vielleicht von Gott schon unsichtbare Probereliquien bereitgestellt?
    »Verrückte. So ist unser Land«, sagte auf einmal eine zweite Stimme neben Escarlati. Dieser drehte sich zur Seite und erkannte den Sänger vom nächtlichen Platz.
    »Ich hoffe«, begann der erstaunte Escarlati, »Sie konnten vorgestern Nacht alle glücklich … nach Hause kommen.« Entkommen hatte er sagen wollen. »Es tut mir sehr leid, dass …«
    Der Mann machte eine wegwerfende Bewegung, die Escarlati aus dem Gesangsauftritt wiedererkannte, und lachte: »So leicht kriegen sie uns nicht. Doch Ihr … Du … mein Herr«, er zögerte, fand die angemessene Anrede nicht und entschloss sich dann für die letztere, »was hatte der Herr eigentlich bei uns zu suchen?«
    »Ich bin auch Musiker«, sagte Escarlati, »hatte mich in den Gassen verlaufen und die Musik …«
    Ein Pfiff unterbrach ihn, gefolgt von mehreren kollektiven Schreien der angetretenen Würfel. Ja, das sah nun aus wie eine endgültige Formation: die Armee der Rechtgläubigen vor der Schlacht ums Paradies.
    »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte Escarlati. »Was für ein seltsamer Brauch.« Die Marschierenden bekreuzigten sich, dann auch die Herumstehenden und Escarlati ebenfalls. Kann ja nicht schaden, sagte er sich – dies dachte er immer, wenn er sich die vier Punkte auf Stirn, Brust und Schultern tupfte. Auch der Sänger hatte sich bekreuzigt, nachlässig und verwischt, als entferne er ein paar Stäubchen vom Wams.
    »Unsereiner dürfte gar nicht hier sein. Dabei haben auch wir eine Maria, die schwarze von El Rocio«, sagte der Sänger.
    »Unsereiner?«
    »Nun, Gitanos. Zigeuner. Curro Montoya.«
    »Dome… Domingo Escarlati.« Sie schüttelten einander die Hände.
    »Ich habe Euch beobachtet«, sagte Montoya. »Ihr seid kein Spion. Was also wolltet Ihr bei uns?«
    »Wie gesagt, eigentlich hatte ich mich verlaufen. Bin ja neu hier. Doch dann hörte ich Eure Musik und

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