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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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Hals durch die engen Winkel. Unser tapferer Caballero ritt mit eingezogenem Kopf.
    Oben angekommen, im Freien unter den Glocken und über der Stadt, stieg er vom Pferd und stürzte sich in die Tiefe, hinab in den Orangenhof zwischen Bäume und Bächlein. Aus Liebe, sagt man -was mag denn das für eine Liebe gewesen sein? Quién sabe. Von der Frau hat man nie etwas gehört. Nein, das versteht ihr noch nicht, Kinder. Doch es kommt öfter vor, als ihr denkt, wenn auch selten auf eine so gewaltige Art. Was soll’s.
    Das Pferd aber blieb oben an der Balustrade stehen, erhob sich auf die Hinterbeine, wieherte – manche, die unten auf den Gassen innegehalten und aufgeblickt hatten, sagten: schrie –, scharrte mit den Hufen an der Brüstung, als wolle es höher hinauf zu den Glocken und einer Abkürzung entlang seinem Herrn nach in den Himmel.
    Was für eine Treue! Man zeige mir einen solchen Menschen. Doch diese Abkürzung gibt es nicht, nicht einmal als Belohnung für Treue in den Tod. Und auch jener Gaul musste den üblichen Weg nehmen: über den Pferdemetzger nämlich, diesen allerdings wenigstens auf Umwegen. Denn man konnte das Pferd die Giralda nicht wieder herunterführen, obwohl mehrere Knechte hinaufgeeilt waren, das Tier rückwärts drehten – was schon schwer genug war –, einer dann vorn am Riemen zog und zwei andere die Hinterbacken um die erste Ecke zu schieben versuchten. Vergebens. Der Gaul machte sich starr und war nicht durch den Gang zu quetschen. So schnitt man dem Tier wohl oder übel die Kehle durch und befleckte damit – das war das Schlimmste – den Balkon unter den Glocken und hoch über dem Altar mit Blut. O Gott. Man würde eine Menge Ave Marias beten müssen, einige davon vielleicht für die treue Seele des Gauls; keine aber für den Selbstmörder, diesen Lästerer! Den man doch insgeheim bewunderte für seinen Schneid.
    Dann ließ man das Pferd an einem langen Seil die Außenwand herab – ihr könnt euch denken, wie die Leute gafften – bis auf Mannshöhe über dem Platz, denn da war auch das längste Seil, das man hatte finden können, zu Ende. Oben im Turm ließ man los, rief: Vorsicht, Pferd! Und das Tier stürzte den Rest frei hinab. Es krachte, als splittere Holz, und dann lag der Kadaver zwischen den Kutschen wie ein Haufen. Neben dem zerplatzten Caballero. Ich hab’s selbst gesehen.
    Ja, so maß man die Tiefe des Luftozeans über Sevilla mit einem Pferd als Gewicht, und er war viele, viele Faden tief, tiefer noch als der Guadalquivir.«
    Die Jungen saßen stumm im Halbkreis um Curro – niemand konnte so gut Geschichten erzählen wie er – und stellten sich das tote Pferd und die zwei Blutlachen vor: eine große, gurgelnde oben auf dem Turm, die andere, kleinere unten auf der Gasse.
    »Madre de dios! Ich hätte das Pferd gleich von ganz oben runtergeschmissen und patsch!«, sagte einer der Jungen begeistert.
    »Und zwar lebendig«, sagte ein anderer.
    »Hombre!«, ein dritter.
    Curro grinste und lehnte sich zurück.
    »Ein Dichter seid Ihr also auch«, sagte Escarlati.
    »Ach wo. Das hat mir mein Großvater schon erzählt.«
    »Und ich werd’s meinem Kleinen erzählen«, rief der Knirps und quetschte seine Strohpuppe an sich. »Gleich heute Nacht! Huu!«
    Mittlerweile hatten sich auch einige Erwachsene zu dem Häuflein gesellt. Escarlati erkannte einen Vihuelaspieler wieder und eine der Frauen, die den Takt geklatscht hatten. Schon während Curros Geschichte hatte der Gitarrist das Instrument aus seinem Sack geholt, die Saiten gestimmt und leise Arpeggien gegriffen, auch schnelle Figuren mit der linken Hand, doch flüchtig und noch ohne Zusammenhang – bis auf einen schrillen, dissonanten Akkord, der wohl den Sturz des Pferdes hatte darstellen sollen.
    Zwei, drei weitere junge Männer stießen zur Runde, blickten Domingo fragend, doch nicht unfreundlich an, gaben ihm verlegen die Hand, sahen gleichzeitig jedoch woanders hin, während Curro ihnen zu verstehen gab: Das hat schon seine Richtigkeit. Er sprach in einem Dialekt, den Escarlati nicht verstand.
    Noch einer trat hinzu und stieß eine Flasche in den Sand. – Aha, der gesellige Abend beginnt, neue Kakteen werden gepflanzt und später geköpft. Escarlati verspürte Lust, einen Schluck zu trinken. Vergeblich hielt er Ausschau nach der Silhouette in Rot, der Tänzerin.
    Inzwischen hatte sich der Gitarrist für eine bestimmte Harmoniefolge entschieden, eine absteigende Quart und vier Akkorde darüber, von Moll nach Dur

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