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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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ins Ohr: »Papa ist verrückt! Nicht lange, dann macht er mich zum König und dann … dann muss er gar nie mehr aufstehen! Schlafe wohl, schlafe wohl, schlafe wohl!« Er tanzte weiter umher und verdrehte die künstlichen Haare, bis die Locken sein Gesicht verdeckten.
    »Das ist geschmacklos, mein Gemahl«, sagte sie. Der Prinz beruhigte sich und nahm auf dem Sofa Platz.
    »Es braucht nur Feder und Tinte«, sagte Fernando ernst, nahm die Perücke ab und setzte sie neben sich wie ein Haustier, kraulte ihr das Haar. »Dann dankt er ab. Mein guter Papa.«
    »Und denke an die Königin. Deine Stiefmutter. Sie mag dich nicht.«
    »Ja, ja – wie im Märchen. Huu huu! Die böse Hexe!« Er schlich auf Zehenspitzen um das Sofa herum und auf die Prinzessin zu, dann weiter zum Nachttisch, wo er einen kleinen blauen Ring ergriff. Sie sah, dass er eine Erektion unter den Leinenhosen trug und verbarg, indem er sich vornüberbeugte oder ein Bein auf den Ankleidestuhl aufsetzte.
    »Bei mir hast du das nicht«, sagte sie, blickte aber anderswo hin.
    »Was, was?«, rief der Prinz und bewunderte im Spiegel, wie ihm der blaue Ring am kleinen Finger stand sowie verstohlen die Ausbeulung des Stoffes zwischen den Beinen – er hatte nicht zugehört, oder doch?
    Des Prinzen Unterkörper lehnte gegen die Kommode unter dem Spiegel, deren Deckplatte in eine barock mäandernde Kante auslief, bewegte sich leicht, wobei Fernando sich selbst in die Augen blickte, dabei sich vorstellend, er – oder vielmehr sein Spiegelbild – sei ein anderer, leicht errötend und tief atmend. Maria Barbara sah, wie sich seine Gesäßbacken einige Male fest zusammenzogen – wollte er verbergen, was er tat, oder wollte er, dass sie ihm zusah?
    Es geschah so gut wie nichts. Auf der Kommode stand eine Elfe aus Porzellan mit im Wind starr modelliertem Gewand, barfuß und fein bemalt; sie geriet kurz ins Schaukeln, kippte aber nicht um.
    Verlegen drehte sich der Prinz nun vom Spiegel weg, als habe er darin etwas Ungehöriges gesehen – was auf Maria Barbara allerdings zutraf, denn sie entdeckte den dunklen, wachsenden Fleck im Leinen und fühlte sich ratlos und fremd.
    Der Prinz war jetzt still, sah sich düster um, als befänden sich zwei verschiedene Prinzessinnen im Raum. Und nun sprach er zu der anderen, zu jener, die ihm zuwider war. »Die Messe. Wir müssen los.«
    »Komm schon – zieh den blauen Rock an.«
    Er kleidete sich an und sie verließen das Gemach. Nun war er ein schüchterner, seltsamer Junge, der sich an den Wänden der Gänge entlangdrückte. Dies ein zukünftiger König? 16 war er, noch ein Kind, doch manchmal machte er ihr Angst. Wenn er nur nicht nach dem Vater kam …
    »Ich beichte gern«, murmelte Fernando. »Mein Monseñor ist der Beste.«
    Dieser, Monseñor Rávago, stand schon vor der Pforte zur Kapelle bereit, fettleibig und sanft, verbeugte sich vor dem Paar mit gefalteten Händen, die einer gewissen Ähnlichkeit mit Hefezöpfen nicht entbehrten, und ging über die Schwelle voran.

12
    Die Sonne stand niedrig, weit draußen schon über dem Ozean. In den Gassen war es dunkel und kalt. Noch einmal war der Winter zurückgekehrt. Die engen Spalten zwischen den Häusern, im Sommer Schlupflöcher gegen die Hitze, ließen nun frösteln. In den Innenhöfen hingen Kammern aus feuchtkalter Luft, durch welche die Atemwolken von Menschen zogen.
    In einer Ecke des Raums züngelte ein Holzfeuer, die Scheite einfach an die rußgeschwärzte Wand gelehnt, ungeschützt und ohne Kamin darüber, wie ein brennender Unterschlupf für Flammenwesen. So huschten zweierlei Geister auf und ab, Eishauch und Glut.
    Ein dritter hatte sich in Escarlati ans Werk gemacht, wurde jeden Tag wilder und aufsässiger, klopfte alles, was ihm in die Quere kam, nach Klängen und Rhythmen ab, seien es Gedanken, Erinnerungen, knarzende Taue im Hafen, Kinderstimmen, Gebimmel der Glocken, rufende Fuhrleute oder Antworten der Esel. Kurz, Domingo war am Komponieren und suchte nach neuen Werken; im Zittern der Fingerspitzen verbargen sich Ideen zu Figuren, bereit zum Sprung auf die Tastatur.
    Doch jetzt saß er in seiner Taverne, das heißt, in jener, die ihm am besten gefiel – und die am wärmsten geheizt war –, dort, wo er auch Japón kennengelernt hatte. Escarlati starrte ins Feuer, hatte ein Blatt Papier vor sich ausgerollt, hielt es mit einer weiten Fingerspanne am linken Rand flach, hatte das Tintenfässchen entkorkt, die Feder aus dem Wams gezogen und schrieb:
    Meine liebe

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