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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Febel
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gehen, führe doch die Welt sogleich hinaus in die Leere, ins eisige Nichts des Teufels. Und, da der Jüngste Tag ja am Ende der Welt stattfinden muss, wird Gott der Herr dann ein alter, alter Mann sein, und mit schwachen, aber zufriedenen Augen wird er sein Werk betrachten, am achten und letzten Tag der Schöpfung und noch einmal sagen: Ja, so ist es gut. – Nein, vielmehr: Ja, so war es gut. Mit alten, gar erlöschenden, gar ersterbenden Augen … und dann … und dann …«
    »Er spricht vom Tod Gottes«, sagte Japón, als diagnostiziere er eine Krankheit, während dem Seher aus Rührung über seine Worte einen Augenblick lang die Stimme versagte.
    Ob der Prophet dann auf einmal mit seiner eigenen Predigt unzufrieden war? Ob ihm schlagartig klar wurde, dass er sich in Gefahr befand? Ob er einfach die Lust verlor? – Auf jeden Fall drehte er sich plötzlich um und ging davon, erhobenen Hauptes, doch nicht aus Stolz, sondern weil er so war, wie er war. Nichts, kein Spott, kein Lachen konnte ihn, den Unerreichbaren, mehr beugen.
    Die Zuhörer zerstreuten sich.
    »Gottes Tod«, schüttelte Escarlati den Kopf. »Wenn das kein Paradox ist.«
    » Daran vielleicht«, sagte Japón, indem er mit dem Kopf nach dem Abgegangenen deutete, »ist er verrückt geworden. Am Schweigen Gottes – sei er nun tot oder nicht.«
    »An der ausgebliebenen Antwort.«
    »Oder der falschen Frage. Ihr alle – so scheint es mir manchmal – stellt eurem Gott die falschen Fragen.« Japón blickte sich nicht um und senkte auch nicht die Stimme.
    Nun, es war auch weit und breit niemand mehr zu sehen.
    »Zum Beispiel?«, fragte Escarlati.
    »Lasst es bleiben«, sagte Curro dennoch, trotz der Einsamkeit bis in die Tiefe der Gassen, und tippte Domingo auf die Schulter. Der aber reagierte nicht.
    »Zum Beispiel just diese«, sagte Japón. »Was ist der Tod? Wie soll denn ausgerechnet derjenige das wissen, der ewig besteht?«
    »Na ja«, seufzte Curro. »Haarspalterei … wer soll es denn dann wissen?«
    »Ich befürchte …«, sagte Domingo.
    »Niemand«, stellte Japón fest. »Niemand weiß das. Jedes Kind lernt dies in meiner Heimat.«
    »Das muss eine traurige Heimat sein«, sagte Curro.
    »Ernst vielleicht, doch keineswegs traurig«, widersprach Japón, obwohl er von seinem eigenen Königreich nicht die geringste Ahnung hatte.
    »Wie dem auch sei«, nahm Escarlati den Faden wieder auf. »Er …« – damit meinte er den Prediger – »… ist unzweifelhaft verrückt, nicht wahr? Und damit doch außer Gefahr?«
    »So einfach ist das nicht. Da gibt es genügend Übergänge«, sagte Japón. »Und genau dies ist das Problem. Stellt euch ein Gremium der Inquisition vor, das zu erörtern hat, ob der Delinquent nun wahnsinnig ist oder nicht. Was mag dabei herauskommen? Das ist ein weites Feld. Ein beängstigend weites Feld.«
    »Nein«, sagte Curro. »Entweder man ist verrückt oder man ist es nicht. Entweder hängen die Orangen am Baum oder sie liegen am Boden. Niemals aber sieht man sie fallen.«
    »Ich denke, sie fallen in den frühen Morgenstunden herab«, sagte Japón. »Da werden die Stiele durch die Feuchtigkeit weich.
    Man müsste nur lange genug wach bleiben, nicht betrunken sein, ein bisschen aufpassen, dann …«
    »Du machst mir mein schönes Gleichnis kaputt«, murrte Curro.
    »Was sollte es denn besagen?«, fragte Domingo.
    »Nun … ach, zum Teufel, was weiß denn ich!«, rief Curro, »Japón ist doch unser Philosoph.«
    Dieser fühlte sich durch die neue Berufsbezeichnung geehrt und beeilte sich, eine Probe seines Könnens zu geben:
    »Ich denke, es soll ausdrücken, dass zwischen den Dingen, was deren zeitliche und kausale Folge betrifft, durchaus rätselhafte Beziehungen bestehen können, das heißt, vielleicht reißen sich des Nachts die Orangen selbst vom Baum, fliegen dann aus eigenen Stücken durch die Luft, schlagen Kapriolen und landen schließlich sanft auf dem Boden wie Falter. Oder aber es liegt am Morgen nicht dieselbe Anzahl von Orangen mehr auf der Erde wie der Baum am Abend mehr getragen hatte. In beiden Fällen wären grundlegende Gesetze der Logik verletzt, zum einen das Gesetz der Schwerkraft, welches übrigens Sir Isaac Newton herleitete, ein Engländer, ebenfalls mithilfe von Obst, allerdings von Äpfeln – natürlich könnten Orangen in jenem kalten Land gar nicht reifen –, und zum anderen das Gesetz der Zahl. Zwei Dinge bleiben immer zwei Dinge. Wundersame Vermehrung – und wohl auch Verringerung, doch diese

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