Klang des Verbotenen
im Rausch und ohne zu wissen, warum.«
»Nicht übel«, sagte Escarlati, und einige der Jungen griffen sich, ohne es zu merken, an den Hals.
»Doch der Kopf …«, sagte einer von ihnen, wurde aber unterbrochen, denn gerade in diesem Moment rief der wirre Prediger, der sich in der Mitte der freien Fläche postiert hatte, »Wehe!« und begann eine seiner Ansprachen.
»Die Zeit ist gekommen«, deklamierte er. »Die Zeit, umzukehren und zu bereuen – und doch scheint es, als fließe immer neue Zeit nach, aber wie lange noch? Das wissen wir nicht! Für immer und ewig? O mitnichten! Denn muss, was begonnen, nicht zwangsläufig auch enden?«
»Es geht wieder los«, sagte Curro unwillig, einerseits, weil man ihn unterbrochen hatte, und andererseits, weil er um die Gefahr wusste, in die der Alte sich wieder und wieder begab.
»Halt den Mund!«, rief er dem Verwahrlosten zu. Der schwieg allerdings schon, hatte soeben eine neue Brotkante aus der Tasche gezogen und aß wie zuvor. Der erste Teil seiner Predigt, nur eine Kostprobe sozusagen, war kurz gewesen, doch laut gerufen wie die Bekanntmachung eines himmlischen Büttels, und einige Passanten hatten bereits aufgehorcht.
Der Prediger musste sich offenbar, bevor er den Hauptteil beginnen konnte, noch einmal stärken und ölte sein Mundwerk mit Spucke, wofür er auf der Brotkruste herumkaute.
»Hoffentlich hält er jetzt die Klappe«, murmelte Montoya und ließ den Blick unauffällig über die Anwesenden wandern.
»Der Kopf! Was geschah mit dem Kopf?«, wiederholte der Junge.
Montoya griff sich an die Stirn, als habe er das Wichtigste vergessen.
»Der Kopf – ach ja! Er tauchte vor Triana aus dem Fluss wie eine neue Insel, mit schwarzen Kugeln besetzt, die in alle Richtungen starrten. Das Maul schnappte noch ein paarmal auf und zu: Hap! Hap! Schwarzes Blut quoll heraus. Als die Sonne die Insel beschien, begann diese zu stinken wie die Därme eines Dutzend geschlachteter Ochsen und trieb dann langsam ins Meer hinaus, hinter sich eine schlierige Spur, in der die Möwen kleben blieben und schrien. Schließlich war der Kopf des Ungetüms über den Horizont hinausgewandert und ward nie mehr gesehen.«
Montoya zwinkerte Japón zu, von den Jungen unbemerkt, und dieser nickte. »O ja. So war es. Ich habe sie selbst gesehen, die stinkende Insel. Mit meinen eigenen Augen. Und gerochen.«
Was sagt ihr nun? Der junge Anführer blickte stolz über seine Schar. Habe ich euch zu viel versprochen?
Mittlerweile hatte der Prophet das Brot heruntergeschluckt, dabei weitere Krumen auf dem Boden verteilt, welche die Spatzen aufpickten, sodass es aussah, als predige nun ein Riese zu den Vögeln. In der Tat hielt der Alte seinen Blick, obwohl er schrie, zum Boden gesenkt.
»Noch verhält es sich dergestalt«, rief er. »Die Toten drunten in ihrem kalten Reich …« – ach, deshalb sah er in den Grund hinein – »warten auf die Ankunft der Lebenden, auch auf dich, auch auf dich! « Er hob den Kopf und deutete wahllos auf Gesichter, die sich allesamt abwandten, und fuhr dann fort: »Bald aber wird es umgekehrt sein: Wir Lebenden werden warten auf die Ankunft der Toten!«
Ein paar Männer und Frauen schlenderten unauffällig in der Nähe des Redners auf dem Markt umher, in Hörweite zwar, doch mit scheinbar gleichgültigem Blick, kauften nichts und waren jederzeit bereit zu verschwinden.
»Der wirre Prediger«, flüsterte einer.
»Hör lieber nicht hin«, ein anderer.
»Er spricht vom Jüngsten Tag, doch anders als die in der Kirche.«
»Schon einmal haben sie ihn abgeholt.«
Trotz der Gefahr schlich bald ein großes, heimliches Publikum um den Sprecher herum wie ein langsamer Strudel über dem Abfluss eines Brunnens, der Blätter und abgefallene Blüten in Rotation versetzt.
»Seine Argumentation ist nicht ganz ohne Verstand«, sagte Japón.
»Japón, Japón, bitte nicht!«, rief Curro, der wieder einmal eine philosophische Abhandlung des spanisch-östlichen Grüblers auf sich zukommen sah, auf die er trotz des vollen Glases vor sich nicht die geringste Lust verspürte.
Doch zunächst fuhr der Prophet selbst fort und sprach: »Nur einer aber kann des Wunders der Auferstehung nicht teilhaftig werden und steht beiseite an der Wand des großen Festsaales, im Schatten zwischen den Kerzen, verlegen wie jeder große Künstler angesichts seines Werkes, nämlich Gott selbst, denn er ist ja der Steuermann des Ganzen, des Erdenschiffes und darf nicht einen Augenblick von der Brücke
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