Klang des Verbotenen
Kopftuch lose über das Haar geworfen hatte, das sie mit der Rechten zusammenhielt. Es war Maria Barbara, die Prinzessin, doch niemand hatte sie erkannt, auch Escarlati nicht.
An jenem Abend floss der Wein in Sturzbächen die Kehlen hinab, und auch Escarlati hielt sich nicht zurück.
Sein Inneres enthielt neuerdings etwas wie die Traktur einer mechanischen Orgel, Hebelzüge schienen in seiner Brust hin und her zu gleiten, um widersprüchliche Regungen endlich aufs Beste miteinander zu verbinden: Erleichterung mit Stolz, was die inspirierte Improvisation betraf, Freude mit Hunger nach mehr, was die neuen Freundschaften anging – und auch die Furcht davor, Candela endlich wirklich zu begegnen, mit der Sehnsucht eben danach, und diese wiederum mit geradezu unstillbarem Durst.
Doch Candela war verschwunden.
»Wart’s ab«, sagte Curro und grinste.
So bewegte die inwendige Mechanik Escarlati durch den Abend, dem Rausch entgegen und zu sentimentaler Redseligkeit über sich selbst.
»Eure Musik«, sagte er zu Montoya, während die beiden auf einer steinernen Bank saßen, tranken und das Treiben besahen, »eure Musik handelt von Tragödie und Unglück und ist doch immer kraftvoll und wild. Das bewundere ich – wie macht ihr das bloß?«
Montoya zuckte mit den Schultern, unaufmerksam, als sei dies eine Selbstverständlichkeit wie Gehen oder Pissen.
»Meine Musik aber«, fuhr Escarlati fort, »ist immer leise und fein – nun gut, das mag auch am Instrument liegen –, und dennoch der euren ähnlich, auch traurig, auch klagend, o ja. Denn alle guten Stücke handeln von Abschied – auch wenn sie lustig sind. Ist es nicht so? Ja, so ist es. Meine Pauken und Trompeten, die ich ganz leise auf dem Cembalo imitiere, die blasen immer Lebewohl. Da kommt nie jemand an, da bricht immer jemand auf.«
»Meine hingegen, die blasen schon ab und zu zum Angriff«, lachte Curro und gab Escarlati einen Stoß. »Sei nicht so schüchtern! Sieh die Frau dort drüben! Was hältst du von der ?«
»Ich rede doch von Kunst«, verteidigte sich Domingo halbherzig. Darüber hinaus hatte er nur noch Augen für eine ganz bestimmte Frau.
Die ihn hatte sitzen lassen, bevor man einander nahegekommen war.
»Bevor ich sterbe«, sinnierte Domingo weiter, etwas wehleidig schon vom Wein, »möchte ich noch verstehen, was Musik wirklich ist. Deshalb bin ich nach Spanien gekommen, das heißt, bin ich fortgegangen. Fort von dem, was ich wusste und doch nicht wusste.«
»Auf diese Weise wirst du das niemals!«, lachte Curro. »So nie und nimmer! Du redest wie ein zahnloser Greis, und alles um dich herum klingt und gibt Laute von sich. Was willst du denn noch? Du vom Leben verwöhnter und vom Glück geküsster, reicher – Künstler! Sieh dich um! Das Geheimnis liegt offen da.«
Das Gespräch verlief wirrer und wirrer, die Gedanken wurden sprunghaft und somit wahrhaftiger. Ordnung ist der Fantasie fremd, und der Wein kappte die üblichen Verbindungen von Rede und Gegenrede.
Auf einmal dachte Escarlati darüber nach, warum er sich eigentlich hier so viel besser fühlte als im Salon, und es wurde ihm klar, wie sehr er die höflichen, nichtssagenden Reaktionen des adligen Publikums auf seine Musik hasste.
»… und auch fürchte; das muss ich zugeben«, murmelte er, seinen Gedankengang laut fortsetzend, und Montoya verstand nicht im Geringsten, wovon er redete: »Fürchte? Was? Was? Die Geheimpolizei?«
»Wenn den Leuten meine Musik nicht gefiel«, sagte Escarlati ohne jegliche Überleitung, »nun, dann war ich beleidigt. Liebten sie sie aber, dann fühlte ich mich wie ein Betrüger, da ich allein doch um ihre Schwächen wusste, um die Notbehelfe, um die ursprüngliche, ach so liebliche Vision und deren ärmlich stümperhafte Verwirklichung, um die Diskrepanz zwischen Klangidee und Resultat – und dies noch auf einem so erbärmlichen Instrument, welches auch immer es sei. Nein, das ist kein Leben.«
»Ihr habt Sorgen«, sagte Montoya, und Domingo konnte dabei keine Spur von Ironie entdecken. »Was kann man da tun?«
»Man könnte zum Beispiel die vollkommene Komposition schreiben.«
»Und hat das schon einmal jemand geschafft?«
»Nein.«
»Nun«, murmelte Curro, »irgendwie scheint mir das nicht zur Gänze durchdacht. Sieh dir diese Frau an«, sagte er abermals und deutete mit dem Kinn auf die Schöne.
»Auf jeden Fall«, murmelte Escarlati, »keine Kirchenmusik mehr. Gott möge mir verzeihen, wenn ihn ab jetzt andere loben müssen, andere
Weitere Kostenlose Bücher