Klang des Verbotenen
»Das hat schon seine Richtigkeit. Ja, ja.«
Der Applaus geriet natürlich auch deswegen so ungewöhnlich stark, weil die vielen Gäste aus der Stadt die strengen Codices des Hofes ein wenig aufgeweicht hatten – man hatte sozusagen eine Prise echten Lebens eingeschleppt. Escarlati genoss den Beifall, hatte sogar seine übliche Schüchternheit vergessen, war also in beträchtlichem Ausmaß ein anderer geworden.
Doch im Hintergrund, wie die entfernteste Eissilhouette der Sierra über Granada, ragten die ratlosen Häupter der Königsfamilie auf, umkränzt von Geistlichen aller Art, insbesondere Beichtvätern sowie Hofschranzen, Anstandsdamen und Staatsgästen.
Escarlati begab sich dorthin durch eine Gasse, die sich für ihn auftat. Er hörte Tuscheln um sich, blickte in lächelnde Gesichter links und rechts, bis er schließlich vor der trübseligen Phalanx des Königs zum Stehen kam.
Die Prinzessin aber begrüßte ihn herzlich und lobte sein Spiel.
»Ist das nicht endlich unsere Musik, Kunst für unser Volk und mit unserem hellen Licht darin?«, rief sie aus.
Domingo verbeugte sich tief, insbesondere vor König Felipe V., und bedankte sich für das neue Instrument.
»Ungewöhnlich«, murmelte Seine Majestät, wobei offen blieb, was gemeint war, Escarlatis Spiel oder der Klang des neuen Instruments – oder vielleicht auch nur der Sitz von des Meisters Perücke. Dessen ungeachtet nickten alle Umstehenden, der Klärung dieser Frage gewissermaßen vorauseilend; hat doch Seine Majestät sowieso recht, worum auch immer es geht.
Der Monarch meinte die Musik, durch die er an seine Albträume erinnert worden war.
»Mein Geschmack ist das zweifellos nicht«, murmelte Beichtvater Rávago seitwärts, wohldosiert, sodass es gerade eben hörbar war. Es ging dabei nicht nur darum, Escarlati eins auszuwischen – dies freilich auch –, sondern wie immer war bei derlei Gelegenheiten durch eine kritische Bemerkung zu zeigen, dass die kirchliche Einschätzung über allem stand, ja sogar über den Meinungskundgebungen der königlichen Familie, der zu widersprechen nur Personen eines Schlages wie Rávago wagen konnten.
Hier allerdings war ein Widerspruch eigentlich gar nicht vonnöten. König Felipe war tatsächlich verwirrt, Königin Isabella Farnesina komplett unmusikalisch, und Prinz Fernando hasste den Lehrer seiner jungen Frau sowieso.
Blieb nur Maria Barbara, die ihr Möglichstes tat. »Es ist kühn«, sagte sie. »Endlich einmal Musik, die mich berührt und nicht langweilt, die nicht nur nett und höflich ist.«
»Nett und höflich sein muss man schon«, hielt der König dagegen.
»Selbstverständlich, Eure Majestät«, bestätigte Escarlati.
Schweigen. War’s das?
Sicherheitshalber blieb der Meister in Wartestellung und harrte weiterer Kommentare; gleich ihm fielen auch die Übrigen in vorübergehende Erstarrung.
Und in der Tat, der König dachte nach. »Als Gott der Herr sah, wie ein Dornbusch vom Südwind zerzaust wurde«, murmelte er nach einer Weile wie zu sich selbst, »da erst kam er auf den Gedanken, Lebewesen zu erschaffen mit der Fähigkeit, sich vom Fleck zu bewegen.«
Diese kryptische, eines Dichters würdige Bemerkung war schwer zu kommentieren, und niemand wagte es.
»Nicht wahr?«, fuhr Felipe fort, nun zu Escarlati gewandt.
»Zweifellos … das heißt«, stotterte dieser, »will sagen?« Er kannte die Gewohnheit des Monarchen, nach dem Beischlaf ein Glas Wein zu trinken und nach Musikgenuss zu philosophieren, ja, in solchen Augenblicken – den zweitgenannten natürlich – entstand zwischen den beiden ein seltenes Gefühl der Übereinkunft oder gar Komplizenschaft; als fände der aufblitzende königliche Wahnsinn dann seinen Widerschein im Genie des Meisters – oder auch umgekehrt.
»Unbelebtes kann durchaus Belebtes inspirieren«, erklärte der König. »So wie das … – wie heißt es nur? – Arpicembalo den Meister, der daran sitzt. Also Euch.«
Escarlati deutete eine dankende Verbeugung an. In der Tat: Je dunkler sich des Monarchen Geist gebärdete, desto hellsichtiger äußerte er sich über Kunst, als nähere er sich sowohl dem Wahnsinn wie auch Domingos schöpferischer Welt mit gleicher Geschwindigkeit.
Die Gedanken des Oberbeichtvaters Rávago waren sachlicher. Er schätzte Ordnung und Macht und mochte keine Experimente.
»Euer Spiel«, sagte er zu Domingo, lautstark, wie eine offizielle Erklärung des Heiligen Stuhls, »Euer Spiel ist – ungeachtet der Klänge, die uns fremd
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