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Klappohrkatze kommt nach Hause: Meine Abenteuer mit Norton (German Edition)

Klappohrkatze kommt nach Hause: Meine Abenteuer mit Norton (German Edition)

Titel: Klappohrkatze kommt nach Hause: Meine Abenteuer mit Norton (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Gethers
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ihre Schwester Belle sehen konnte, die mit dem Scotch Hurricane. Leider währte die Freude nicht sehr lange, denn drei Monate, nachdem meine Mutter hierhergezogen war, starb Belle an einem Hirntumor.
    Sie war dreiundachtzig Jahre alt, was ja wirklich nicht schlecht ist, aber man hatte trotzdem das Gefühl, das sei viel zu jung, weil sie so lebenslustig und witzig war, so interessiert an allem, was sie umgab, und eine solch unterhaltsame Gesellschaft. Ich wurde gebeten, auf Belles Beerdigung eine der Reden zu halten. Ich willigte ein und sprach darüber, dass Belle, um die Wahrheit zu sagen, eigentlich ganz normal war. Sie hatte nicht die Schutzimpfung gegen Kinderlähmung entdeckt, das Rad neu erfunden oder das Gesicht des Planeten verändert. Aber dann erzählte ich, wie witzig sie war und wie ehrlich, wie sie die Menschen, die sie liebte, in Schutz nahm, und dass ich niemanden kannte, der auch nur annähernd so großzügig war wie sie. Ich sagte, ich glaubte nicht daran, dass es tatsächlich möglich war, jemanden von den Toten zurückzuholen, aber was Belle anging, wolle ich mich nicht eher festlegen, als bis ich mit meiner Mutter essen ginge, um zu sehen, ob nun eine geisterhafte Erscheinung mit dünn werdendem Haar von oben herabschwebte, um die Rechnung zu übernehmen.
    Ich sprach davon, dass Belle etwas geschafft hatte, das die meisten Leute niemals schafften. Die meisten Leute werden nicht besser, wenn sie älter werden – sie werden einfach älter. Belle schaffte es, sich tatsächlich weiterzuentwickeln. Sie besuchte neue Orte, probierte neue Sachen aus, schloss neue Freundschaften, wurde immer kultivierter. Ich sagte, dass sie mit achtzig sehr viel interessanter war als mit vierzig. Und sie war ein besserer Mensch – gütiger, verständnisvoller, weicher. Wenn man all das zusammenzählte, bemerkte ich, war es doch nicht so normal. Es war ziemlich erstaunlich. Zum Schluss sagte ich, dass Belle begriffen hatte, das, was im Leben zähle, seien ein Sinn für Humor und ein Sinn für Abenteuer, und dass man diese beiden Dinge mit den Menschen teilen soll, die man liebt.
    Am stärksten ist mir an diesem Nachruf in Erinnerung geblieben, dass ich für diese eigentlich nur fünfminütige Rede ungefähr drei Stunden brauchte, weil ich alle ein, zwei Sätze wieder innehalten musste, um ganz unglaublich zu schluchzen und zu flennen. Ich war zerknirscht, dass ich meine Gefühle nicht mal ein paar mickrige Minuten im Griff hatte, aber so war es nun mal. Ich konnte es nicht. Es ist gut, sich das zu merken, damit Sie mich nicht bitten, auf Ihrer Beerdigung zu sprechen. Meine andere bleibende Erinnerung ist, dass, als alles vorbei war, die gesamte Frühlingsreisegruppe – sie waren alle zur Trauerfeier gekommen – in der nächstgelegenen Bar einen trinken ging. Wir bestellten ein zusätzliches Glas Scotch, stellten es mitten auf den Tisch und prosteten Belle zu. Unser Trinkspruch lautete: »Auf den jüngsten Menschen, den wir kennen.« Seitdem bestellen wir auf allen unseren Frühlingsreisen ein Glas Scotch und erheben unser Glas auf die Schwester meiner Mutter.
    Der Grund, warum ich Ihnen diese traurige Geschichte erzähle, ist nicht, dass ich den Drang habe, Ihnen ein paar Tränen zu entlocken. Der Grund ist vielmehr, dass das, was nach Belles Tod geschah, ebenso interessant wie bedeutsam ist.
    Es geschah, dass meine Mutter im Alter von fünfundsiebzig Jahren merkte, dass sie sich nicht sonderlich viel aus gewissen Familienmitgliedern machte. Nein, nicht, dass sie sie nicht mochte – sie liebte sie sehr –, sie waren nur nicht so, wie sie immer gedacht hatte. Ihr ganzes Leben lang waren sie eher Symbole gewesen als Menschen. Da war »Der Bruder, der Familienoberhaupt war, seit Pop tot war«. Da war »Der clevere Neffe mit den Plänen zum Reichwerden«, »Der ergebene Sohn«, »Das brave Kind, das den Familienbetrieb übernahm«. Diese Bilder existierten zum Teil deshalb, weil Belle sie uns so darstellte (sie nahm sie in Schutz, das war ihre Rolle, aber ich glaube auch, dass sie ehrlich an diese Bilder glaubte; das war ihre Religion – Familie). Aber plötzlich war Belle nicht mehr da, und meine Mutter musste hinter diese Bilder schauen, und sie sah, dass sie überhaupt nicht so waren, wie sie angeblich sein sollten. Sie waren nicht gütig oder großzügig oder mutig oder auch nur besonders nett, die meisten von ihnen. Es gab natürlich Ausnahmen (man beachte: Das ist ein guter Schriftstellertrick, so kann jeder in

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