Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
Vom Netzwerk:
Attitüden der Macht. Wir sahen immer STASI, hatten leider auch meist Recht damit. Diesmal nicht. Jene Aussage über Feindbilder und Grenzreglement ist mir bis heute in Erinnerung geblieben.
    In jener Zeit fand gerade der Kirchentag in Dresden statt. Mir wurde die Abwesenheit bei den Diskussionen um Sinn und Trachten unserer Arbeit schwer. Bei solchen Treffen lebte ich stets auf, gewann Kraft und Gewissheit, es bedurfte doch so sehr der Versicherung durch Gemeinschaft. Aber ich unterbrach den Urlaub nicht, denn ich musste unbedingt vorbereiten, was im September 1983 in Wittenberg stattfinden sollte: einen »Disputationsgottesdienst« in der Schlosskirche unter dem Motto »Es geht ums Überleben. Thesen zum Weiterdenken«, einen »Abend der Begegnung« im Lutherhof mitdem Umschmieden eines Schwertes zu einer Pflugschar sowie Liturgie und Abschlusspredigt auf dem Wittenberger Marktplatz.
    Eine Schauspielstudentin, Freundin einer kirchlich sehr aktiven Jugendlichen, Ingrid Kube, hatte Kontakt zur Schauspielerin Inge Keller, auch auf Hiddensee als extravagant, glanzumwoben und unnahbar geltend. Die Diva vom Deutschen Theater Berlin besaß hier ein Haus, idyllisch versteckt in der Dünenheide, einem Areal, in dem aus Naturschutzgründen niemand hätte bauen dürfen.
    Auf Wunsch von Inge Keller sollte ich sie besuchen, sie wolle beizeiten die Dinge ihrer Beerdigung »regeln«, dazu schien ihr das Gespräch mit einem Pfarrer wohl angebracht. Mit ihrem guten Bekannten, dem Weimarer Regisseur Fritz Bennewitz, war sie zu meinem Vortrag in die Inselkirche gekommen, danach verließ sie hoch aufgerichtet den Raum, ohne Gruß, ohne Anhauch einer freundlichen Geste; Erscheinung war alles, und diese Erscheinung hatte in jedem Moment majestätisch zu sein. Ich war beeindruckt, zweifellos. Diese Frau, später stets die »Grande Dame« des DDR-Schauspiels genannt, repräsentierte einen staunenswerten, aber auch kühlen Einbruch des Mondänen in die graue Grundfarbe des DDR-Daseins.
    Zwei Tage später war der Termin unseres Treffens. Höflicher Empfang, dann kam die Keller gleich zur Sache, dies übrigens bei einem Rotwein, wie ich ihn in meinem Leben noch nie getrunken hatte. Irgendwann las ich, die Schauspielerin habe sich am Telefon gern mit der Bemerkung gemeldet, hier sei die diensthabende Gräfin der DDR, eine ironische, aber auch ärgerliche Reaktion auf häufige, klischeehafte Besetzungsangebote, die einzig auf ihren Typ zielten. Da hatte ich diese Frau wieder deutlich vor Augen, ja, eine Gräfin, unmittelbar am Strand der Ostsee.
    Inge Keller steckte sich eine elegante Zigarette an, kein Zigarillo, sondern eine sehr lange Zigarette, pustete den Rauch in die Luft: »Nun, Pasting, wir reden heute nicht über den Tod, wir reden über das Leben.« Sie kam sofort auf meinen Vortrag in der Inselkirche zu sprechen. Der Ton und die so gar nicht erwartete Angriffslust irritierten mich. Ich hätte mich über die SED lustig gemacht, auch über alle Mitglieder dieser Partei, Menschen, die oft große Konflikte durchlebten zwischen dem, was sie dachten, und der notwendigen Einsicht in die Pflicht zu Disziplin und Geschlossenheit. Es falle vielen schwer, alle Windungen und Wendungen aktueller Politik zu begreifen, so sei es eigentlich unbegreiflich, lesen zu müssen, wie freundschaftlich sich gerade Erich Honecker und Franz Josef Strauß getroffen hätten – was sollten da meine Arroganz und Verächtlichmachung. Ich war verblüfft, und da man bei der Wahrnehmung verblüffter Leute gern noch einen draufsetzt, setzte auch Inge Keller, selbstredend eine gute Beobachterin, noch einen drauf: Sie sei im Übrigen gläubig und eine Bolschewikin, sie sei eine gläubige Bolschewikin. Der Schlag saß und ich auf der Anklagebank. So hatte ich mir diese Begegnung wahrlich nicht vorgestellt.
    Sie hörte gar nicht wieder auf, sie attackierte mich wegen meiner Aktivitäten in der Friedensarbeit, und dann wurde der Angriff sehr persönlich. Sie gab mir plötzlich eine Mitschuld an einem tragischen Vorfall in ihrer Familie. Der nämlich sei ausgelöst worden durch Gewissenskonflikte in Friedensfragen, wie sie die Kirche aufwerfe. Junge Menschen würden so zerrieben zwischen ihrem Pflichtbewusstsein für den Staat und einer individuellen Freiheit, die im Rahmen bestehender Gesetze nicht lebbar sei. Und auch nicht wünschenswert, denn der Sozialismus habe ein Recht darauf, sich gegen seine imperialistischen Todfeinde zu verteidigen.
    Seminar »Recht,

Weitere Kostenlose Bücher