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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Gerechtigkeit und Rechtsstaat« in der Evangelischen Akademie 1997. Auf dem Podium neben mir drei Bürger mit Stasihaft-Erfahrung.
    Diese große Schauspielerin saß nicht in einem märchenhaftund weltabgewandt wirkenden, also Seele und Leib beruhigenden Haus wenige Meter vom Meer entfernt – sie stand auf einer großen Welt-Bühne, große Worte schneidend in den Raum werfend, sie sprach nicht, sie rechnete ab, ich in unsichtbaren Fesseln vor ihr hockend. Das alles keinesfalls unhöflich oder grob, aber sehr klar und immer im tanzenden Rauch der Zigarette, die unablässig elegant geschwungen wurde.
    Inge Keller war einst kurz mit Karl-Eduard von Schnitzler verheiratet gewesen, auf der Insel Hiddensee fand die Hochzeit statt, in den fünfziger Jahren. Mit dem zynischen, demagogischen Matador des »Schwarzen Kanals« hatte sie jetzt freilich nichts mehr zu tun. Aber ich. Er hatte zum Konflikt zwischen Militarismus und Pazifismus u. a. Folgendes von sich gegeben: »Nach der biblischen Überlieferung hat Christus die Wucherer und Wechsler nicht mit gefalteten Händen und frommen Chorälen zu bekehren versucht, sondern siemit dem handfesten Argument einer selbstgefertigten Geißel aus dem Tempel hinausgeprügelt … So steht’s im Neuen Testament, Joh. 2,16.« Es falle manchen Leuten offenbar schwer zu erkennen, »dass Gewehr nicht gleich Gewehr ist und Macht keineswegs etwas Unmoralisches sein muss. Imperialistische Macht ist potentielle Kriegsmacht, weil im Kapitalismus der Mensch des Menschen Wolf ist und der Profit im Mittelpunkt steht.« Sozialistische Macht sei »Friedensmacht. Denn Sozialismus und Frieden sind miteinander identisch, weil im sozialistischen Staat der Mensch im Mittelpunkt steht, sein Glück und das Wohl des Volkes. Nächstenliebe ist im realen Sozialismus Regierungsprinzip. Also ist sozialistische Macht eine Gewähr für Frieden auf Erden.« Diesen Kampf um Frieden und Abrüstung zu führen, bedeute keine »Militarisierung der Gesellschaft«. Man müsse »die Geißel gegen Wucherer und Wechsler« nicht anwenden; aber man müsse sie zur Hand haben. »Besitz und Meisterung von Waffen und Waffensystemen, militärische Disziplin (vom Gehorsam über Postenstehen, Bewährung im Einsatz unter Gefechtsbedingungen bis zum Großen Wachaufzug und zur Parade): Das hat nichts mit Militarismus zu tun. … Frieden auf Erden und Nächstenliebe: Das sind unsere Positionen!«
    Die DDR-Führung in Übereinstimmung mit Bibel und Bergpredigt – das war Schnitzlers Suggestiv-Rhetorik vom »Schwarzen Kanal«. Die Atmosphäre an jenem Abend bei Inge Keller erinnerte an Schnitzler. Als wäre er ihr Souffleur. Als gäbe er ihr die Worte ein. In einem Gedicht von Brecht heißt es: »Er begriff es, und begriff es auch nicht.« In gewisser Weise verstand ich, dass sie die Grundlagen ihrer Privilegiertheit verteidigte, andererseits verstand ich nicht, weshalb sie, eine Künstlerin, eine in vielfachem Sinne freie Person, so dogmatisch redete. An jenem Abend übernahm meine Frau meine Verteidigung. So intensiv, so energisch, soaufgeladen wie noch nie. Vielleicht war es auch noch nie so nötig gewesen. Ich lebe von der Lust auf Spruch und Widerspruch, Rede und Widerrede – in diesem Haus bestimmte Inge Keller die Regeln. Auch Fritz Bennewitz war mit dabei, dessen jugendlicher Freund versuchte mich zu unterstützen. Wie ich hörte, hat Bennewitz ihm das sehr verübelt.
    Benommen, leer verließ ich das schöne Domizil der schönen Kühlen. Es sollte ein friedfertiges Gespräch über letzte Dinge und irdische Vorsorgen für den schwersten aller Gänge werden. Es war eine Abrechnung geworden.
    Mich hat diese Begegnung sehr lange beschäftigt, auch weil ich das Gefühl hatte, bei meinem Vortrag missverstanden, falsch interpretiert worden zu sein, und dieses Gefühl nagt besonders unangenehm, wenn man der Überzeugung ist, sich doch klar und unmissverständlich ausgedrückt zu haben und gegen Mauern aus bewusster Ignoranz zu rennen.
    Im November 1989 bekam ich einen Anruf. Am Telefon: Inge Keller. Sie sagte nur kurz und knapp, ich solle am nächsten Abend das 2. Programm des DDR-Fernsehens einschalten. Ich wusste nicht, worum es ging, es waren die Wochen der Umbruchs- und Aufbruchsturbulenzen. Man lebte erregt, chaotisch, neugierig und sehr mit Zukunft beschäftigt. Ich hatte nur Zeit, mein Interesse zu bekunden, da legte Inge Keller den Hörer schon wieder auf.
    Natürlich schaute ich, worauf sie mich aufmerksam gemacht hatte. Der

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