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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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beeindruckt; sie klatschten laut und lange. Einige zogen den Referenten ins Gespräch, andere gingen. Wie? Keine Diskussion? Sie war aber doch angekündigt. Das fragte ich den Pfarrer, und der rief: ›Hier will einer diskutieren!‹ Es war eine laue Sommernacht. Warum sollten wir in der Kirche bleiben? Die noch bleiben wollten, vorwiegend junge Leute, setzten sich auf die Stufen vor der Kirchentür und zwischen die Gräber. ›Nichts gegen die schlimme Wirkung von ausgedachten Feindbildern‹, begann ich, ›aber ist das Gegeneinander im Kalten Krieg nur ausgedacht? Ist es nicht Ausdruck wirklicher Gegensätze, und gibt es nicht Kräfte, denen man zutrauen kann, dass sie unter bestimmten Umständen den Kalten Krieg in einen heißen umwandeln?‹ Es ging sehr lebhaft zu vor der Kirche, das Für und Wider zog sich lange hin. Besonders heftig wurde es, als ich den Pfarrer fragte, ob er allen Ernstes glaube, dass man durch den Verzicht auf Feindbilder einen Krieg verhindern könne. Als Motive hätten Feindbilder immer gewirkt, aber die Kriegsgründe seien doch immer anderer Art gewesen. Die müsse man beseitigen, wenn man den Frieden erhalten wolle.
    Das Gute am Streit dieser Nacht war, dass die Streitenden einander zuhörten, aufeinander eingingen. Sie verfochten unterschiedliche Standpunkte, aber sie verhielten sich nicht wie Gegner.
    Am nächsten Morgen stieg ich ins Wasser. Der Strand war menschenleer, nur einer war bereits im Wasser und stieg nunans Land, nackt wie ich. Wir erkannten uns, obwohl wir sicher ein anderes Bild boten als am Abend vorher, und begrüßten uns mit einem Lächeln. Es war der Pfarrer. Zwanzig Jahre später sagte mir der Name, den ich auf dem Plakat gelesen hatte, mehr als damals. Dort hatte gestanden: Friedrich Schorlemmer.«
    So weit die mir 2002 vom damaligen »Leiter des Lehrstuhls Kulturpolitik an der Parteihochschule der SED« Eberhard Röhner zugeschickte Erinnerung an jenen Abend. Ich erinnere mich so: Es war ein sehr heißer Abend. Ich hatte wohl mehr als eine Stunde gesprochen und u. a. gesagt: »Eine menschliche Gemeinschaft definiert sich meistens von einem Grundkonsens gemeinsamer Überzeugungen und Interessen her, wobei die eigene Tradition rassischer, religiöser, weltanschaulicher, nationaler Art prägend wirkt, manchmal ins Unterbewusstsein abwandert und immer wieder reaktivierbar ist, auch nach Jahrzehnten. Diese Gemeinschaft zieht dann eine Grenze, einen Zaun materieller oder ideeller Art, der das Revier umgrenzt. Die anderen, ›die da draußen‹, die Fremden, sind dann potentielle Gegner, gegenüber denen man wachsam sein und gegen die man sich zusammenschließen muss. Die draußen sehen den Zaun und wissen, gegen wen er gerichtet ist – gegen sie – und denken: Was machen die hinter dem Zaun? Entweder sie bauen selber einen Zaun oder sie schicken geheim jemand in deren Gelände hinein, und werden diese Agenten dann ausfindig gemacht, ist klar, dass der Gegner nur Zellen bilden wollte, um das Umgrenzte im ideellen oder materiellen Sinne zu zerstören. Und innere Differenzen werden am leichtesten durch den Hinweis auf den Feind zurückgestellt. Immer, wenn die Mächtigen besonders auf die Feinde hinweisen, ist Gefahr im Verzug. Das ist ein Vorgang, der auch in individuellen Zusammenhängen erkennbar wird. Zum Beispiel, wenn der Außendruck aufeine beliebige Gemeinschaft wegfällt, bricht diese auseinander. Das ist offenbar eine Eigentümlichkeit des Menschen. Je fremder in einer umgrenzten Gemeinschaft der Fremde bleibt, desto leichter ist es, sich ein Negativbild von ihm zu machen. Deswegen hat das Wort ›Kontakte‹ einen so anrüchigen Klang. Die anderen sagen, nur durch Kontakte kommt es nicht zum Blitzen. Der andere, der Fremde, wird ohne Kontakte nicht als Individuum, sondern als Repräsentant seiner Gruppe oder als ›Sohn seiner Klasse‹ verstanden.«
    Die Kirche war überfüllt, die Luft unerträglich stickig geworden. Deshalb gab es nur ein Gespräch vor der Tür, auf dem Friedhof zwischen Gräbern im Mondenschein. Ein lange gespannt schweigender Mann warf ein: »Glauben Sie denn, dass unsere Jungs da Nacht für Nacht rausführen, wenn sie kein Feindbild hätten?« Ich entgegnete: »Ja, genau das ist es. So wird Irrationales emotional verankert und militärisch ausgenützt.«
    Der ist von der Stasi, sagte man mir danach. So dachte auch ich. Immerhin: Er stellte sich der offenen Diskussion und das ohne Schärfe. Warum gab es das nur so selten und ohne die

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