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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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gleichem Maße verschwamm alles im schönen Nebel des Unauffälligen, Abseitigen. Der Dichter Hanns Cibulka beobachtete den Flug der Wildgänse, »die mit ihrem Zug weiße Bänder um die Erde winden. Wann ist uns je ein solches Bild geglückt?«.
    Vier Wochen durfte ich hier leben und eine Landschaft genießen, in der alles um einige Stufen zarter, durchsichtiger war; trotz der immer ahnbaren Grenze fühlte ich mich zwischen den drei Orten Neuendorf, Vitte und Kloster dem Grenzenlosen des Menschen näher. Der Atem, städtisch flach geworden, erholte sich und gewann Weite.
    Auf diese Reise war ich freilich nicht nur als Urlauber gegangen, der Aufenthalt bedeutete auch: Arbeit, die ich gern tat. Im Kalender dieser vier Wochen standen Gottesdienste in der Inselkirche Kloster und mehrere Vorträge, zudem begleitete ich mit Texten einige musikalische Veranstaltungen und war natürlich für seelsorgerische Gespräche bereit. In einem der Vorträge hatte ich auch über die ökologische Giftküche DDR gesprochen und mich über das Tete a Tete zwischen Honecker und Strauß ironisch, ja sarkastisch geäußert.
    Im Eingang der Kirche hatten viele Steine gelegen. Wie gingen die Besucher mit den Steinen, die uns im Wege liegen, um? Ich reflektierte anhand eines Lukastextes über den steinigen Weg der Nachfolge. (Das Ehepaar Kowalik aus Merseburg erinnerte sich 2011 noch ungefragt an diese symbolische Handlung und das indignierte Verhalten Bischof Leichs.) Was ich sagte, war am Rand der DDR gleichsam in den Sand gesprochen, aber auch der Sand hatte Ohren – nach den wunderschönen Wochen auf Hiddensee erfuhr ich, dass Bischof Leich noch nach Monaten versucht hatte, mich wegen dieser öffentlichen Offenheit, bei der ich mich nicht besonders mutig, sondern selbstverständlich fand, vor meinem Bischof Werner Krusche anzuschwärzen: Ich hätte im Gottesdienst eine unzulässige politische Grenzüberschreitung begangen.
    Stets blieb diese DDR in ihrem Grundmuster präsent und erkennbar. Es herrschte (das Wort ist hier wahrlich angebracht) ein ständiges Wogen zwischen Versuch und Vermeidung, zwischen Ehrlichkeit und Anpassung, Vortrag undVorsicht, und ein solches Klima der Überwachung, der Not zur Selbstbeherrschung zieht das Reglementieren, das Zurechtweisen, das Denunzieren nach sich. Es machte auch vor unseren kirchlichen Kreisen nicht halt und zog uns, die wir alternativ zur befohlenen Doktrin leben, denken und fühlen wollten, mit hinein ins giftige Klima. Zum Glück war Bischof Leich mit der Meldung meiner angeblichen politischen Fahrlässigkeit bei Krusche an der falschen Adresse.
    Meine Familie und ich wohnten im Jugend- und Gemeindezentrum der Insel, es hatte in der oberen Etage zwei kleine, bescheidene Zimmer. Neben dem Gebäude stand ein großes, prächtiges, für die damalige Zeit geradezu imposantes Haus; kein Schild an der Tür, nichts verwies auf seine Bestimmung, es war das sogenannte Gästehaus des Bischofs von Greifswald, Horst Gienke. Der Bischof lud mich in sein benachbartes pompöses Haus zu einem Gartengespräch bei Scotch Whisky ein, es war ein sehr kontroverses, aber von der Haltung her partnerschaftliches Gespräch. Er meinte, man dürfe die DDR-Behörden nicht überfordern und die gutwilligen Leute nicht verprellen. Und ich entgegnete, die Probleme um die Atomraketenrüstung und die schwer belastete Umwelt seien zu ernst, als dass man sie unter Rücksichten oder taktischen Kalkülen abschwächen dürfe.
    Als einen »Disput mit einem Pfarrer« betitelte ein damaliger Zuhörer meinen Vortrag: »Wenn wir keine Feinde hätten, müssten wir sie erfinden. Über die Funktion von Feindbildern.« Es sind Erinnerungen, die er für seine Enkel aufgeschrieben und mir zugeschickt hat. »… Ein junger Mann, blond, mit markantem Profil. Er sprach ruhig, mit klangvoller Stimme – ein geübter Redner … Der Redner ließ keinen Zweifel an seiner Absicht. Machen wir uns Feindbilder, weil wir welche brauchen, um den, der für einen Gegner gehalten werden soll, als Gegner erscheinen zu lassen? Um Kriegeführen zu können, wurden immer Feindbilder gebraucht, erzeugt und genutzt. Ist das im Kalten Krieg zwischen West und Ost anders? Stimmen die heutigen Feindbilder mit der Wirklichkeit überein? Über solche Fragen sollten die Zuhörer in der Kirche nachdenken, und der Pfarrer führte dieses Nachdenken bis zur Frage, ob nicht Feindbilder beseitigt werden müssten, wenn man Kriege verhindern will.
    Die Zuhörer schienen

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