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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Erlerntes, etwas Eingebläutes etwas Eigenes – zum Schluss agiert man in der Art einer von der Gesellschaft gebauten und programmierten Maschine. Es scheint beim Erzogenwerden darauf anzukommen, sich sogar vor sich selber zu verstellen. Sichverborgenbleiben heißt, ihnen da draußen so zu passen, dass sie dich gut erzogen nennen. Dies bricht die Kunst auf. Du wirst dir wieder deutlich, und die da draußen können, vielleicht, nicht mehr so ganz mit dir machen, was sie wollen. Kunst macht in dem Sinne nicht stark, sie macht porös, sie macht sensibel, also untauglich fürs Harte, Lederne. Freilich stets nur für den Moment der schönen Illusion, diese Wirkung dauere an. Und doch stärkt und motiviert Kunst, so mündig wie sensibel zu werden, zu bleiben, ins Nach- und Vorausdenken zu führen.Da fallen mir zuerst Christa Wolf und Franz Fühmann ein, deren Essys und deren Prosa.
    Lüge, Anpassung und Wegschauen, gesellschaftspolitische Apathie, all das, was die DDR zum Glück an ihr Ende trieb – es lebt auf und wird übermächtig in heutiger westlicher Demokratie, einem System mit hart aussortierender Konkurrenz. Manchem wurde das Lobwort »Freiheit« schal im Mund – wer 55 Jahre alt ist und bereits zahlreiche vergebliche Bewerbungen geschrieben hat, der entwickelt unweigerlich eine wachsende Distanz zu einem System, das sich demokratisch nennt, aber vorrangig ein Beförderer von rücksichtslosen Kapitalinteressen wurde und Menschen massenhaft erübrigt – zugunsten der Effizienz.
    Über zwei Jahrzehnte nach dem Verlöschen der DDR ergeben sich unterschiedlich angesiedelte Erinnerungen über »das Leben in der DDR, in dem nicht alles schlecht war«. Es war wahrlich nicht alles schlecht, aber ich möchte kaum etwas davon zurückhaben. Und ich möchte meine Kräfte darauf konzentrieren, das zu verändern, was heute grundlegend schiefläuft.
WIE SICH ALLES ZUSAMMENFÜGT
    Soweit ich mich überhaupt daran erinnern kann, was ich in der Kindheit dachte, fühlte, hoffte, war ich immer an Politik, an den öffentlichen Dingen, an der res publica interessiert. Die Verwerfungen der Nachkriegszeit im geteilten Deutschland, die Fluchten vieler Familien um uns herum und die russische Militärpräsenz haben mich wahrscheinlich tiefer geprägt, als ich selber lange Zeit wahrzunehmen bereit war. Dunkel und dumpf lagert in meinen Erinnerungen, dass ich 1953 erstmalig vom »Zuchthaus« im Nachbardorf Lichterfelde hörte, aus dessen scharfer Bewachung Gefangene geflohenseien und nun gen Westen drängten. Überall Polizei, auch Sowjetarmisten mit Maschinenpistolen, nächtliches Scheinwerferlicht über Feldern und Wiesen.
    Drei Jahre später, Oktober 1956, erklärte mein Vater mir den Aufstand in Ungarn und in welch gefährliche Lage die Welt mit der Suez-Krise geraten war.
    Im Dorf Schönberg hatten Funktionäre in den frühen fünfziger Jahren mehrere Holztafeln mit Propagandasprüchen aufgestellt. Die am Weg zu einer Großtischlerei trug die Losung »Deutsche an einen Tisch«. Ich wusste, mit der Tischlerei hat das nichts zu tun. Mosaiksteine einer Welt, in der offenbar nicht ausgemacht war, dass die Dinge gut ausgehen. Mein Grundgefühl, wenn ich nach draußen sah, war Fremdheit, wenn ich den Blick nach innen wandte, ins bergende Elternhaus, umfing mich Sicherheit. Und in den Gesprächen mit dem Vater begann ich zu ahnen, welche moralischen Stützen mein Leben halten würden. Es war ein Gespür, das noch kein Benennen kannte.
    Mit drei Freunden bin ich während der Internatszeit in Seehausen über die Mauer von Pfarrer Dieter Staemmlers Grundstück gesprungen. Wir haben uns in sein Amtszimmer geschlichen, wo er uns von Dietrich Bonhoeffer erzählte und vorlas: »Widerstand und Ergebung«. Dort begegnete mir auch der Name eines Naturwissenschaftlers, eines Physikers, der Glaube und Wissenschaft zusammenzudenken verstand. Eine mich aufwühlende Entdeckung, denn ich litt als Christen-Kind unter dem verächtlich gemeinten Vorwurf von Kindern aus atheistischen Elternhäusern: Wer glaubt, weiß nicht – wer aber weiß, hat Glauben nicht nötig. Glaube versus Wissen!
    Dieser Carl Friedrich von Weizsäcker sollte mich mein Leben lang begleiten. Seine Friedenspreisrede »Die Bedingungen des Friedens« 1963 öffnete mir die Augen für die Welt, in der ich lebe. Da steckt in jedem Satz so viel bis heute Gültiges: Frieden ist oberste Lebensbedingung des technischenZeitalters; was den Frieden am gefährlichsten bedroht, ist der Welthunger;

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