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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!«
    Dieser tolle Mensch, hinauskomplimentiert aus der Kirche und heftig zur Rede gestellt, habe immer nur entgegnet: »Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?«
    Noch heute: Die Glocken läuten, sie schlagen, sie rufen, aber ihr Ruf verhallt. Kleiner sind die Kreise geworden, die sich in den großen Räumen versammeln. Nicht nur, dass die Kirche mitunter kalt ist – sie lässt auch in wachsendem Maße Menschen kalt. Es betrübt mich, dass dieses Haus in unserer Zeit der Hast und der fiebrigen Ablenkungen oft leer bleibt. Aber es lässt den, der es betritt, niemals leer.
    Die protestantische Kirche darf um ihres Auftrags und ihrer Existenz willen nicht an der eigenen Einsamkeit erkranken. Sie darf nicht einer Gesellschaft nachgeben, in der die Wahrheit statistisch, per Umfrage, ermittelt wird und von Zustimmungsquoten her politische Programme entworfen werden. Die evangelische Kirche muss sich in ihren Kirchen als ein Ort der Entschiedenheit beweisen, statt zu einer Kirche der Beliebigkeit zu werden. Eine Reformkirche (ecclesia reformata semper reformanda) ist keine Zeitgeist-Kirche. Sie wird sich immer im Sinne des Apostels Paulus in der »Unterscheidung der Geister« zu üben haben – unter der einen Überschrift: Jesus – Kyrios: Jesus ist der Herr. Dieser Herr begegnetuns zugleich als Bruder, als Freund, als ein Begleiter, als ein Helfer und Liebender, als ein Wissender und Verstehender. Innerlichkeit mit einer eigentümlich erfahrenen Christusnähe wird zur Voraussetzung für äußersten Einsatz. Ihrer »Fremdheit« in der Welt darf sich Kirche nie schämen. Diese Fremdheit ist ihr Ausweis. Die protestantische Kirche wird zu jeder Zeit laut und vernehmlich fragen, was es im konkreten Leben der Menschen bedeutet, Salz, Licht und Sauerteig zu sein, und sie hat dafür zu sorgen, dass das Reich Gottes ein kritisches und hoffnungsstiftendes Kontrastprogramm zu den »Reichen der Welt« bleibt.
    Zeitgeist-Kirche wäre eine Kirche, die stets modern sein will und bald alles modern nennt, was gerade in Mode ist. Die Trendkirche ist eine charakterlose, also nutzlose Kirche. Freilich ist die Kirche, die ich meine, keine Verschluss-Sache aus Furcht vor Realitätsberührungen – wo Frömmigkeit nicht mit Offenheit gepaart wird, wird sie einfach eng und stickig. Aber: Wo Offenheit nicht mit Frömmigkeit gepaart bleibt, wird alles flach. Meine 40 Jahre Dienst in der Kirche sagen mir: Lasst uns nicht zu achtlos und arglos Traditionen über Bord werfen, aber sie mit unserer Zeit verbinden, »versprechen« . Und damit im Klartext bleiben, der eindeutig ausspricht, wo wir stehen, wofür wir stehen, wogegen wir stehen, warum wir aufstehen, wo die Grenze für unsere Kompromissbereitschaft liegt, wo also das Gewissen zu schlagen beginnt. Das kalkuliert und beschönigend Wohltemperierte passt nicht zu einem Christen. Diesem Auftrag zu entsprechen, ihm treu zu bleiben – das hat mich die DDR-Zeit gelehrt, und meine Kirche in Werben half mir stets als Vertrauensort, als aufmunternde Zeugin, die aus den Jahrhunderten kräftigend zu mir sprach. So lebe ich gern in ihrem Schatten, in ihrem Licht.
    Welch weiser Alltagsspruch: die Kirche im Dorf lassen. Ja,wir sollten alles tun, damit »die Kirche im Dorf bleibt«, auch in der Klein- und in der Großstadt. Der Symbolwert ihrer Präsenz ist nicht veraltet, die fußläufige Erreichbarkeit einer Kirche ist unverzichtbar. Die Entfernung sollte so sein, dass man – in Gedanken – die Arme nach ihr ausstrecken könnte. Mir geht nach, was Luther auch mir so oft Besorgtem ins Stammbuch schrieb: »Wir sind es doch nicht, die da die Kirche erhalten könnten. Unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen. Unsere Nachkommen werden’s auch nicht sein; sondern der ist’s gewesen, ist’s noch und wird’s sein, der da sagt: ›Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.‹«
    Und doch braucht’s besorgte und helfende Bauleute: Erhaltung kann nicht allein höherer Kraft überlassen werden, wenn Rechnungen auf recht irdische Art bezahlt werden und inspirierende Ideen gefunden werden müssen. Also bin ich in den Förderverein für meine Heimatkirche eingetreten, bin ihr auf diese Weise noch näher und freue mich, dass seit 2011 die Kirchentüren im Sommer ganztägig offenstehen. »Offen für alle« – nicht bloß in St. Nikolai in Leipzig.
ICH WAR IM KONSUM
    Die DDR war nicht nur SED, Mauer, Stasi, Doping,

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