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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Staat, der die Gesellschaft verschluckt hatte und schließlich gar an den Weichteilen der Menschen gescheitert ist, an seinem Klopapier (»ein Folterwerkzeug« aus Heiligenstadt!), an der pellkartoffelartig aufplatzenden Seife, an der miserabel schmeckenden, kaum schäumenden Zahnpasta und dem äußerst knappen Zahnbürstenangebot. An den Weichteilen lassen die Menschen auf Dauer nicht mit sich spaßen. (Vom Stand der Zahnarzttechnik einmal ganz zu schweigen.) Sich mit dem zerrissenen »Organ des Zentralkomitees der SED« seine Exkrementreste abzuwischen oder bei der Ulbricht-Marke auf die falsche Seite zu spucken schuf schließlich nicht die erwünschte Entlastung.
    Von vielen Ostdeutschen wird angesichts des Nachmittagsprogramms im heutigen (privaten) Fernsehen und angesichts von »Bravo« etc. die »Frösi« hochgejubelt, die FDJ-Bluse verniedlicht, die Jugend im Gleichschritt und Gleichklang beschönigt.
    Zum alltäglichen Glück gehörten die Märchenstunde, die Familiendiashow oder der Diavortrag über den Heros aller wahrhaft guten Menschen: Albert Schweitzer – mit einem Diaprojektor, der im Zweifel heizte wie ein Kanonenofen. Der geradezu zuverlässig verzerrende Sternradiorecorder tut als Küchenradio bei mir bis heute seinen treuen Dienst.
    Nicht zu verschweigen, welche Beinahe-Revolution der Kaffeemix ausgelöst hatte. Wohl jede Frau wird sich erinnern, »wie die Maschen liefen«, und fast jeder Jugendliche an das erste Liebesabenteuer mit dem Mysterium des Gummis»Mondos«. Viele Einkaufsnetze in der DDR hatten »Durchfall«. In meinem Zeitungsladen ist alles anders, alles neu, nur die F-6, die Schweine-Juwel, Cabinet und Club hatten sich jahrelang gehalten, auch das DDR-Inhalat schlechthin, unsere »Gauloises«, die Marke KARO. Nirgendwo so viel Treue zur 22 Jahre zurückliegenden Zeit. Sie wird verpustet, bleibt eine spezifische dumme Angewohnheit. Auch ich war pfeifensüchtig gewesen, bis mir meine Tochter 1983 den Schmaucher aus dem Munde gerissen hat: »Vati, ich will nicht, dass du früh stirbst!« Wie hieß nur dieser so süßliche Tabak? Glücklich vergessen … Es gibt noch »Schwarzen Krauser« aus der DDR, sagt mir die Verkäuferin.
    Wer DDR-Geschichte erzählt, kommt nicht am Trabi vorbei. Denn nichts wird »alltagspraktisch« noch so lange und so sehr für das Leben in der DDR typisch bleiben wie diese Beziehungskiste, dieser Pappkamerad, der immer einer von uns war und blieb. Ja, denke ich, die DDR, das ist Trabi, Honi, Kathi. Trabi ist Schrott, Honi ist tot, Kathi ist oben. Immer noch und immer wieder. Sie verstand es, elegant auf dem Glatteis zu kurven, und sie versteht sich darauf, die je Mächtigen betörend anzulächeln. Mir sind die zahlreichen Bilder von den Begegnungen mit dem Staatsratsvorsitzenden E. H. nach ihren grandiosen Erfolgen auf dem Eis für die sozialistische DDR noch in guter Erinnerung. Auch die Eisfläche war letztlich ideologische Spielfläche in der geteilten Welt.
    Der Trabant ist unsere Legende auf Rädern. Als ich 1973 das erste Auto, ein Dienstauto, bekam, musste ich mich hineinquälen mit der ganzen Familie. Wie haben wir nur alle reingepasst? Es war eine alte, bereits klapprige Seifenkiste – noch nicht der neue Trabant, sondern der ganz alte. Und ich war stolz! Es war schön, sich auf vier Rädern durch die kleine Welt zu bewegen. Ich kannte mich aus mit Zweitaktern. Wenn etwas kaputtging, ließ sich das öfter selbst von einemtechnikfremden Menschen beheben, deshalb hatte ich immer eine größere Reparaturkiste im Auto. Diese Knattertonne war ein gesellschaftliches Gleichheitszeichen, wiewohl die Gleicheren – ganz nach Orwells »Farm der Tiere« – hinter Tschaika- oder Volvostoßstangen saßen. Die Trabis sind inzwischen Fremdkörper mit Seltenheitswert in der Westwelt, eine unverwechselbare, einmalige Weltattraktion, ein Symbol für das, was bleibt. Dieser geliebte, gehätschelte Autoversuch aus dem Sachsenring-Werk in Zwickau wurde nicht weniger zärtlich behandelt als Struppi. Und wenn man nach langer Fahrt angekommen war, wurde auf ihn geklopft und ihm streichelnd versichert: »Gut gemacht, sehr gut.«
    1976 organisierten wir eine zweiwöchige Begegnung zwischen Jugendlichen aus Köln und Merseburg. Nach den historisch-literarischen Seminaren in den Masuren ging es nach Warschau. Zurück fuhr ich zusammen mit Peter Kube im Trabi-Kombi von Warschau bis Merseburg. Bei der kurzen, peinlichen Durchsuchung an der Grenze wurden die durchgeschleusten

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