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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Bücher nicht entdeckt. Ich war erstaunt, wie schnell und problemlos das vollgepackte Auto diese 800 km absolvierte.
    Der Trabi hat verloren. Bemalt steht er hin und wieder (besonders in Sachsen, seinem Heimatlande) neben einer Mercedes-Tieflader-Batterie auf der Autobahn im Stau. In der Übergangszeit 1990/91 tobte sich am Trabi die ganze verschüttete Fantasie in diverser Aktionskunst aus: bis hin zum Güllefahrzeug, zum Wüstenrallye-Trabi, zum Vierrad-Traktor mit Trabanthaube. Aus Jux fahren noch heute junge Leute mit dem offenen Trabi-Jeep einstiger Grenzer durchs Land. Das entbehrt nicht des Makabren.
    Zur DDR gehörten auch die Wartezeiten auf ein neues Auto – beim Wartburg etwa 18 Jahre. Tausch- und Schwarzhandel blühten wie überall in der Mangelgesellschaft. Nunsind wir alle längst von der Mangelgesellschaft zur Marktgesellschaft gewechselt. Mit vielen Dokumenten, Eingaben, Zeitungsartikeln, Aufrufen, Plakaten und Bildern habe ich 2009 die Ausstellung zu »Wittenberg – eine Stadt der friedlichen Revolution« bestücken können, die die Zeit vor dem Umbruch, im Umbruch und nach dem Umbruch veranschaulicht hat. Auch die alte Wäschemangel, mit der wir seit 1981 als Friedensgruppe unsere Linoldrucke gefertigt hatten, wurde aufgestellt.
    Schwerter zu Pflugscharen, Linoldruck
    Immer wieder hatten wir unsere Kurzbotschaften »durch die Mangel gedreht«. So umgingen wir das Druckgenehmigungsverfahren, denn wir erstellten eben keine Druckerzeugnisse, sondern Mangel-Produkte auf Vlies, auf Stoff, auf Karton. Die Zensur ließ Lücken. Die Angst saß uns immer im Nacken – die Lust auf Freiheit noch mehr! Der Gedanke wurde verdichtet, in Linoleum geschnitten, mit Mühe vervielfältigt – bis er geradezu erratisch vor uns lag: »Mut macht Mut«, »Analphabeten müssen diktieren«.
    Wer aus der Reihe tanzte, wurde in der DDR in die Mangelgenommen, oft aus nichtigen Anlässen, auch die eigenen Leute, die sogenannten Abweichler. Es gab immer große und kleine »Staats- und Parteiorgane«, die kräftig mit Drohgebärden winkten, und es gab solche, die das unterließen, so gut es ging. In den 40 Jahren waren viele nicht bloß mit dem Daumen in die Mangel gekommen, sondern zu Unrecht angeklagt, zerschunden worden, zu Tode gekommen. Das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung der DDR waren eine Order zur Unterdrückung jedes freien Gedankens und der »freien Assoziation freier Bürger« (Marx). 42 000 Akten in der zentralen Erfassungsstelle Salzgitter geben Auskunft über erlittenes Unrecht. Diese Behörde war der SED ein so großer Stein des Anstoßes, dass sie viele Normalisierungsschritte zur Bundesrepublik mit der Begründung »Salzgitter« ausschloss. Auch ich meinte früher, die Behörde passe als Relikt des Kalten Krieges nicht mehr in die Zeit. Das war falsch, vor allem mit Blick auf die Opfer der politischen Strafjustiz oder auf die Erschossenen an Mauer und Stacheldraht. Einige konnten auch dank der dort gesammelten Akten rehabilitiert werden.
    Es hing vor 23 Jahren alles an einem seidenen Faden. Noch im September 89 sollten zwei Personen (von denen ich weiß und die widerstanden haben) in die Mangel genommen und auf mich »angesetzt« werden, der ich angeblich dazu aufgerufen hätte, die DDR wie eine hohle Nuss zu knacken und Kommunisten aufzuhängen. 2009 habe ich in Reinharz das Schloss mit den riesigen Kellern besucht, das als eines der Isolierungslager für Oppositionelle vorgesehen worden war – 16 Personen aus Wittenberg, 86 000 insgesamt in der DDR. Das ist uns erspart geblieben, weil überall, auch in Wittenberg, Tausende aufmuckten und keine Angst mehr vor der Mangel zeigten, aber den Mangel satthatten, den Mangel an Freiheit nicht weiter erdulden mochten.
    Ziesar 1978
    Wir lebten in einer Mangelgesellschaft, in der wir uns selberoft zu helfen wussten und einander halfen. Aber schließlich ging sie gründlich zu Bruch, fast alles wurde weggeworfen, selbst das Gutgemeinte mit all dem, worin man sich ganz gut eingerichtet hatte. Kein Zweifel: Mangel macht auch glücklich, wie Überfluss mäklig macht, ja das Glück der kleinen Dinge übersehen lässt.
    Die offizielle Mangel hat vieles, was zerknittert, krumm, verdorben war, »dialektisch« glattgestrichen (nur keine Fehlerdiskussion!). Und dann wurde eifrig getüncht. Hervorstechend blieb indes das Grau in Grau, garniert mit geistlosen, mit roten Parolen. Farbe kam ins Land. Inzwischen ist fast alles bunt, ohne gleich farben-froh zu machen.
    Man

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