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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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anonymisiert.
    »Da wirst du vorgeladen. Wie zum Verhör. Aus Vertrauen hattest du geschrieben, offen. Du wolltest ein Gespräch, ein öffentliches. Aber du wirst vereinzelt. Misstrauen und Feindseligkeit begegnen dir. Mit dir wird nicht geredet – du wirst in die Enge getrieben: Fünf Männer, ein Mädchen, drei Stunden. Zwischendurch lassen sie sich fünf Tassen Kaffee bringen. Dann zwanzig Schüler, eine Schülerin, zwei Stunden. Vorher hielten sie Rat. Du hast auf vorbereitete Fragen zu antworten. Kein Wenn und Aber. Bist du für den Frieden? Naalso! Deine Stimme bebt, während du deine Wahrheit sagst, aber die Tränen verbirgst du. Diesen Triumph möchtest du den zitternden Eiferern nicht lassen. Sie stimmen ab. Wer steht zu dir? Das Ergebnis: Du hast einstimmig unrecht. Erst als du zu Hause bist, weinst du. Nun lachst du wieder. Du fühlst, dass du stärker geworden bist.«
    Natürlich wurde mein mit Schreibmaschine geschriebener Text von der Stasi abgefangen und einkassiert. Ich habe ihn schließlich einem Freund aus Köln mitgegeben, der ihn »drüben« in den Briefkasten steckte. Bärbel wurde die Eignung für ihren so geliebten Beruf abgesprochen, und mehrere Eltern machten mir Vorhaltungen wegen des negativen Einflusses, den ich mit meiner »Friedensarbeit« auf ihre Kinder ausübe: Ich würde deren Zukunft gefährden. Ein Vorwurf, der mich schmerzte. Ich habe in unserer Gemeinde nie jemanden aufgestachelt oder angestiftet oder unmittelbar aufgefordert, an einer gefährlichen Aktion teilzunehmen. Allerdings fand unsere Friedensarbeit nicht im luftleeren Raum statt und war durchaus einer kritischen Haltung zu einer immer stärker und offener militarisierten DDR verpflichtet.
    Bärbels schulische Leistungen sorgten schließlich dafür, dass sie doch studieren konnte, Russisch und Deutsch, ein Semester sogar in Moskau. Heute ist sie froh, in einer demokratischen Gesellschaft weiter und ganz anders Lehrerin zu sein.
EIN ORGELKONZERT MIT FOLGEN
    Michael Vogler, Student der Landwirtschaft mit künstlerischen Begabungen, ehemals Offiziersanwärter, nahm an einem Erwachsenen-Taufseminar teil. Er hatte sich als Achtzehnjähriger bei der Volksarmee für 25 Jahre verpflichtet,wurde an einem Jagdflugzeug ausgebildet, konnte jedoch aus eigener Kraft und ohne Schaden zu nehmen aus der Militärlaufbahn ausscheren. Das war zu jener Zeit ein mutiger, ja geradezu unwahrscheinlicher Kraftakt.
    Begegnet bin ich ihm, nachdem er in den Merseburger Dom gekommen war, um ein Konzert mit Hans-Günther Wauer an der Ladegast-Orgel zu hören. Die Kirchenbänke waren bis auf den letzten Platz gefüllt. Er suchte sich einen zum Sehen und Hören günstigen Platz an einem der großen Pfeiler.
    Er sah auf die Orgel, er sah auf das Gewölbe, und er sah eine junge Frau. Er sprach sie beim Hinausgehen an, ob sie mit ihm ein Glas Wein trinken würde. Sie fanden sich, als ob sie sich gesucht hätten. Besagte Dame war zu jener Zeit meine Kollegin für Jugendarbeit im Kirchenkreis. Wir haben uns gut verstanden und gegenseitig angeregt.
    Nun kam er in mein Taufseminar. Ich erinnere mich an tiefgründige Gespräche, wie ich sie in Glaubenssachen bis dahin noch nicht erlebt hatte. Er besuchte auch Jugendabende und Veranstaltungen der Studentengemeinde, dafür nahm er die lange Anfahrt mit der Straßenbahn aus Halle in Kauf. Er war – anders als ich – angetan von dem Musical »Jesus Christ Superstar« und malte dazu eine Serie expressiver Bilder, die wir in einer kleinen Ausstellung in der Studentengemeinde zeigten. Seine erschütternde Zeichnung vom sich verbrennenden Oskar Brüsewitz hat uns sehr bewegt.
    Bald sollte ich beide im Dom trauen. An den Stufen des Chorraums saß das Brautpaar vor mir. Der Organist Hans-Günther Wauer, ich als Pfarrer und sie. Sonst niemand. Eine merk-würdige Gottesnähe ergriff uns. Die Nähe zueinander, der vom Höchsten sprechende gotische Raum, eine sphärische Musik hatten uns erhoben und miteinander verbunden. Wer so etwas einmal erlebt hat, weiß, was Glaube ist, der in Tiefen reichen und in Höhen tragen kann. Das Paar zog nachMühlen Eichsen. Dieser ehemalige Offiziersanwärter, der einst eine Jagdflugzeugausbildung begonnen hatte, wohnte in einem mecklenburgischen Dorf. Sie retteten einfallende Kirchen und eine Orgel in Groß Eichsen. Michael wurde kurzzeitig Bürgermeister in Mühlen Eichsen und sorgte dafür, dass nicht gleich wieder die »alten Kämpfer« ans Ruder kommen konnten. Später wurde er

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