Klar sehen und doch hoffen
aufgegeben hatten, für den ungeteilten Frieden mit Mitteln des Friedens zu wirken, dafür viel zu riskieren, wenn auch nicht gleich das Leben, wie es mein Vater hätte erleben müssen.
Eine Vikarin im Predigerseminar hatte 1983 Ideen zur Konversion in Grafiken übersetzt. Da wuchs aus einem Helm eine Blume, da wurde ein Raketenmantel zu einem Wasserbehälter, da wurde eine umgestülpte Rakete zu einem Starennest und ein NVA-Helm zum Nachttopf für einen kleinen Jungen.
Ich habe damals fünfzehn Sätze für meine Enkelkinder formuliert und natürlich auch für meine Kinder! Täglich über ein Wort Jesu nachzudenken ist mir Übung geblieben undwird mir immer noch das, was die Psalmen für Nelly Sachs geworden waren, nämlich »Nachtherbergen für die Wegwunden«.
Ich möchte ein Mensch des Friedens werden
Einfache Sätze zur Praxis im Alltag
Ich möchte so leben, dass auch andere Menschen leben können – neben mir – fern von mir – nach mir.
Ich suche eine Gemeinschaft, in der ich verstanden bin, das offene Gespräch lerne, Informationen bekomme und Stützung erfahre.
Ich suche das Gespräch mit Andersdenkenden. Ich bedenke die Fragen, die sie mir stellen.
Ich möchte so leben, dass ich niemandem Angst mache.
Ich bitte darum, dass ich selber der Angst nicht unterliege.
Ich will mich von dem Frieden, der höher ist als alle Vernunft, zur Vernunft des Friedens bringen lassen.
Ich suche Frieden inmitten des Friedens. Deshalb wende ich nicht als Erster Gewalt an und versuche, den Gegenschlag zu vermeiden.
Ich vertraue unser Leben nicht weiter dem Schutz durch Waffen an. Darum werde ich mich nicht an Waffen ausbilden lassen.
Ich bin bereit, um des Friedens willen lieber Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun. Vorwürfe, Verdächtigungen und Nachteile nehme ich auf mich. Mein Weg wird nicht leicht sein. Ich gehe ihn aber gewiss.
Ich entdecke an mir selbst Spannungen, Konflikte, Widersprüche. Ich bemühe mich, diese nicht auf andere zu übertragen.
Ich setze meine Fähigkeiten und Kräfte für eine Gesellschaft ein, in der der Mensch dem Menschen ein Helfer ist.
Ich lerne das Loslassen und werde gelassen.
Frieden stiften – friedfertig sein, das möchte ich lernen. 26
Die Kunst hatte einen entscheidenden Anteil daran, dass ich Pazifist geworden bin. Marlene Dietrich mit dem Dylan-Song »Sag mir, wo die Blumen sind« – die Single erschien 1964 bei Amiga ‒, der Bernhard-Wicki-Film »Die Brücke« oder Sergej Bondartschuks »Ein Menschenschicksal«.
Mit 16 hatte mir mein Vater den Kalender »Deutsche Malerei der Gegenwart« mit Otto Dix’ Triptychon »Der Krieg« geschenkt. Das Bild hatte ich einen Monat lang vor Augen, es sollte Langzeitwirkung haben. Why? Warum? Wofür?
Erst 2008 erfuhr ich davon, dass sich Soldaten Weihnachten 1914 an der Westfront über die Schützengräben hinweg verbrüdert hatten, nach den Feiertagen aber wieder anfingen, einander zu töten. Obwohl auf der anderen Seite keine »Feinde«, sondern Altersgenossen, Söhne, Väter, Geliebte, Brüder gewesen waren.
Mit der Klasse meiner Volkshochschule aus Wittenberge war ich im Frühjahr 1961 nach Berlin gefahren, um im BE Brechts »Mutter Courage und ihre Kinder« mit Helene Weigel zu sehen. Von der dubiosen Rolle des Geistlichen war ich peinlich berührt. Niemals wollte ich mit solch einem Pfarrer verwechselbar werden. Später hörte ich Hilmar Thate »Das Lied von der Tünche« und den »Kälbermarsch« singen. Da wurde mir unabsehbar für alles Weitere klar, wie sehr Lüge und Krieg, Frieden und Wahrheit zusammengehören.
1959 sah ich zum ersten Mal das immer noch weithin zerstörte und rußgeschwärzte Dresden. Zum 13. Februar 1988 sangen wir »Dona nobis pacem« – ganz leise – in die Nacht vor der Ruine der Frauenkirche und stellten Kerzen auf die Trümmer.
Zum 13. Februar 2012 hielt ich abends die Predigt in derKreuzkirche. Ich mutete es den Dresdnern zu, Thomas Manns Gedanken von 1942 unmittelbar nach der Bombardierung Lübecks anzuhören: »Die Zeit kommt und ist schon da, wo Deutschland zu schluchzen hat auch über das, was es zu erleiden hat. … ich habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muß.« 27 Nach dem Gottesdienst läuteten zur Erinnerung an die erste Angriffswelle alle Glocken der Stadt. 6500 Polizisten kreisten die Neonazis ein, hielten sie von den Gegendemonstranten fern, und oben am Himmel stand stundenlang dröhnend ein Polizeihubschrauber.
Zuvor hatte ich mich in die
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