Klar sehen und doch hoffen
aufgebaut hatte (unter sehr früher Mitwirkung von Dscherschinsky), schuld daran, dass eine emanzipatorische Idee auf lange Zeit hin so in Misskredit gekommen ist, dass die kapitalistische (Welt-)Wirtschaft fast ungehemmt die Welt höchst effizient zerrütten kann. Ein kommunistisch-totalitäres System wie das im gegenwärtigen China ist dabei, die westlichen kapitalistischen, relativ demokratischen Länder das Fürchten zu lehren, weil es allerhöchste Effizienz mit den Methoden des Manchesterkapitalismus erreicht. China fügt sich ein in die globalisierte, totale Konsum- und Wegwerfgesellschaft, die die Ressourcen der Erde gnadenlos ausplündert. Es wird Zeit, eine Ökonomie zu finden, die effizient und nachhaltig zugleich ist, die den Menschen zu Leistungen, auch zu Höchstleistungen, stimuliert, aber auch alle die Bürger auffängt, die nicht mitkommen (können). Die Wurzel einer humanen Gesellschaft ist nicht die Freiheit der Menschen, sondern die Gleichheit, die dadurch human bleibt, dass die Entfaltungsfreiheit der einen nicht zur Entfaltungsunfähigkeit und -unmöglichkeit der anderen wird. Also keine Gleichmacherei oder Gleichschaltung aller, sondern das Gleichgewürdigtsein eines jeden.
Um jedwede Totalitarismen vermeiden zu helfen, bin und bleibe ich Sozialdemokrat. Deshalb bin ich im BUND, bei ATTAC und in der UNESCO-Kommission. Seit zehn Jahrenbin ich Vorsitzender des Willy-Brandt-Kreises, der das Erbe dieses großen linken Sozialdemokraten nicht bloß ehrt, sondern für die Zukunft zu bewahren versucht. Egon Bahr besticht uns darin jedes Mal mit seiner analytischen Kraft, seinem Mut und seiner Klarheit. Nach wie vor richtet dieser 90-Jährige seinen Blick auf die Zukunft, fußend auf Erfahrung und Erfolg. Ohne Entspannungspolitik kein Mauerdurchbruch und keine friedliche Neu-Vereinigung.
Wird unser Jahrhundert von Katastrophen verschont bleiben – durch rechtzeitige Einsicht in drohende Gefahren? Ich jedenfalls will, solange ich lebe, das nicht ausschließen. Unverdrossen.
Veranstaltung des Willy-Brandt-Kreises zur Erinnerung an den Abschluss des Warschauer Vertrages mit Egon Bahr und Günther Grass, Oktober 2010 in Kiel
DER UNTEILBARE FRIEDEN
SAG NEIN, SCHWÖR KEINEN EID
Mein Großvater, ein Landlehrer aus der Börde, gehörte zu den Millionen Begeisterten, die in den Krieg für Gott und Vaterland auszogen. Im Fahneneid Artikel 1 hieß es zu seiner Zeit: »Ich schwöre vor Gott, dem Allwissenden und Allmächtigen, einen leiblichen Eid: Daß ich seiner Majestät Wilhelm II., unserem allergnädigsten Landesherrn und dem gesamten königlichen Hause treu und redlich dienen und in allen und jeden Vorfällen zu Wasser und zu Lande, in Krieg und Friedenszeiten, an welchen Orten es auch immer sei, Schaden und Gefahren von ihnen abwenden und mich so betragen will, wie es sich für einen pflicht- und ehrliebenden Soldaten eignet und gebühret, so wahr mir Gott helfe durch Jesum Christum und seinem Heiligen Evangelium.«
Mein Großvater galt seit den ersten Wochen des Ersten Weltkrieges als verschollen. Auch in den ersten, noch so siegreichen heroischen Kriegstagen fallen Menschen.
Fallen? Sie werden erschossen oder sie erschießen.
Mein Vater hatte 1939 schon eine Pfarrstelle in Herzfelde/Altmark und wurde als Sanitäter zur Wehrmacht eingezogen. Er wurde auf Hitler eingeschworen. Er schwor sich auf Hitler ein und kam an die Ostfront. Bis kurz vor Moskau. Wurde schwer verwundet, kam hernach glücklicherweise nach Frankreich und 1944 in amerikanische Kriegsgefangenschaft.
Das zerstörte Warschau, die Massenmorde in Babi Jar oder Auschwitz, die zerstörten Städte Coventry, Rotterdam undDresden im Blick, erschrecke ich. Warum so viele, nein, warum 99 Prozent sich den Militärbefehlen unterworfen haben. Und ich stelle mir vor, dass auch ich unter ihnen gewesen wäre. Ein NEIN hätte Militärgericht, KZ oder/und Erschießung bedeutet.
Der Eid auf den Führer lautete: »Ich schwöre bei Gott den Heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.«
Ich hatte 1958 im NWDR mit den Eltern gemeinsam das Hörspiel »Draußen vor der Tür« gehört und Wolfgang Borcherts aufrüttelnden Text »Dann gibt es nur eins« gelesen:
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg
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