Klara Fall, der Lakritzräuber und ich
Mischa Punkt halb sechs zu seiner Laufrunde auf. Zottelpoldi ließ er zu Hause. Wir hörten ihn hinter der Tür kläffen. Aber darüber machte ich mir keine Sorgen. Zottelpoldis Qualitäten als Wachhund hielten sich vermutlich in Grenzen. Vor allem, wenn ich der Einbrecher war.
Ich schielte durch die Büsche zum Haus. „Ist Mischa wirklich außer Sichtweite?“, fragte ich Klara.
Sie ließ das Fernglas, mit dem sie Mischas Weg verfolgt hatte, sinken. „Ja, keine Sorge!“
Ich stand auf. „Okay, dann starte ich jetzt!“
Einen Moment lang standen wir uns gegenüber wie die Paare in den alten Filmen, die meine Oma gerne sieht. Da ziehen die Männer immer in die Welt hinaus, irgendwohin, wo es wahnsinnig gefährlich ist. Und die Frauen winken mit ihren Taschentüchern, bis eine Staubwolke sie verschluckt. Also, die Männer, nicht die Taschentücher.
„Viel Glück!“, sagte Klara leise.
Ich nickte stumm. Sprechen konnte ich nicht, dazu war der Angstkloß in meinem Hals viel zu groß.
Ich versuchte ganz entspannt zu laufen, normal eben. Aber irgendwie wusste ich plötzlich nicht mehr, wie das geht. Ich hatte das Gefühl, mich wie ein Roboter zu bewegen, und zwar einer, auf dessen Rücken in Riesenbuchstaben steht: „Achtung, ich bin ein Einbrecher! Prägt euch mein Gesicht genau ein!“
Zum Glück lag das Fenster von Mischas Badezimmer an der Längsseite des Hauses, hinter einer hohen Hecke. Die verhinderte zumindest, dass ein neugieriger Nachbar meine Aktion beobachten konnte. Trotzdem durfte ich natürlich kein Aufsehen erregen!
Ich lief um das Haus herum. Da war das Fenster!
Rasch sah ich ein letztes Mal zurück. Beobachtete mich wirklich niemand? Nein! Prüfend drückte ich gegen das Fenster. Tatsächlich, es gab nach. Also stieß ich es auf, setzte mich aufs Fensterbrett und schwang die Beine über die Brüstung. Und damit war ich drin, in einer fremden Wohnung. Im Badezimmer eines mutmaßlichen Räubers! – Gar nicht erst drüber nachdenken!
Während ich das Fenster von innen schloss, kratzte etwas an der Tür. Wobei Kratzen stark untertrieben war. Es hörte sich eher an, als versuchte eine wild gewordene Büffelherde, sich gewaltsam Einlass zu verschaffen. Klar, mein Freund Poldi hatte mich längst gewittert und konnte es nicht mehr abwarten, mich und mein leckeres Näschen zu begrüßen.
Aber jetzt war keine Zeit für Schmuseeinheiten. Ich streichelte Poldi einmal durchs Fell und sah ihn dann streng an. „Platz!“, befahl ich.
Zu meiner – und wahrscheinlich auch seiner – größten Überraschung gehorchte er. Na so was! Egal, Hauptsache, mein vierbeiniger Verehrer war für ein Weilchen ruhiggestellt und hielt mich nicht von der Arbeit ab. Ich sah mich um. So! Was sollte ich mir zuerst vornehmen? Das Wohnzimmer!
Zum Glück war es nicht so vollgestopft wie unseres. Mischa schien mehr so der schlichte Wohntyp zu sein: Fernseher, Anlage, Sofa, Stehlampe, Kommode. Kommode! Ruckzuck hatte ich sämtliche Schubladen rausgezogen und begann, sie zu durchsuchen. Ordnung war offensichtlich nicht gerade Mischas Ding. Papiere, Briefe, selbst gebrannte CD s, Taschenmesser und alte Batterien … alles flog hier wild durcheinander. Aber nichts davon ließ auf den Tankstellenüberfall schließen. Mist!
Poldi hatte inzwischen beschlossen, dass die Anweisung, sich hinzusetzen, die ich ihm vor ein paar Minuten gegeben hatte, nicht mehr galt. Schwanzwedelnd kam er angetrabt, um gleichfalls seine Nase in Mischas Schubladenchaos zu versenken. Ich schubste ihn sanft zur Seite. „Lass den Quatsch! Komm, sei brav, Poldi!“
Gerade als ich die letzte Schublade wieder zumachen wollte, entdeckte ich den Zeitungsausschnitt. Er war schon etwas vergilbt, aber gut lesbar: „Mellendorfer Hockey-Herren freuen sich über Turniersieg!“, lautete die Überschrift. Das blasse Schwarz-Weiß-Foto darunter zeigte eine Männergruppe mit gekreuzten Hockeyschlägern.
Ich sah genauer hin. Da, in der letzten Reihe stand er: Mischa Neubert in etwas jüngeren Jahren! Ich schnappte nach Luft. Der Tankstellenpächter hatte ausgesagt, der Räuber habe ihn mit einem Schläger bedroht, eventuell einem Hockeyschläger. Und hier war der Beweis dafür, dass Mischa mal Hockey gespielt hatte! Wieder ein Puzzleteil, das passte!
Schnell zückte ich mein Handy, stellte den Foto-Modus ein und machte ein Bild. Dann legte ich den Artikel zurück und schob die Schublade zu.
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Seit ich mich von Klara
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