Klassentreffen (German Edition)
nickten, aber Meike wusste, sie hätte ebenso gut Spanisch sprechen können – es wäre genauso wenig angekommen. Seufzend machte sie sich zu ihrem Zimmer auf. Natürlich hatte sie kein Glück gehabt: Karsten schlief direkt nebenan.
»Wir sehen uns gleich zum Wandern?« Karsten stand in seiner Zimmertür, als habe er nur auf Meike gewartet.
»Lässt sich wohl kaum vermeiden.« Am liebsten hätte Meike mit ihren Blicken giftige Pfeile abgeschossen. Aber Karsten ließ sich davon nicht beeindrucken.
»Jetzt zier dich doch nicht so.« Abschätzig glitten seine Augen an Meikes Körper entlang. »Sonst bist du doch auch offener. Zumindest danach zu urteilen, was ich in den letzten Wochen so gesehen habe.«
Meike spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. »Das geht dich gar nichts an.«
»Wir werden sehen.«
Meike schlug ihre Zimmertür hinter sich zu und lehnte sich von innen dagegen. Verdammt , schrie es in ihrem Kopf. Was hatte Karsten damit andeuten wollen? Sie zog Franzis Zettel aus der Jackentasche. Schon am Morgen hatte sie die Nachricht mehrfach gelesen, und jedes Mal hatte sie Meike erneut ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. So auch dieses Mal.
Mein Liebling, ich wünschte, die Tage wären schon vorüber, und ich könnte dich wieder in meine Arme schließen. Aber zumindest in Gedanken bin ich immer bei dir. Du bist mein großes Glück. Deine Franzi.
Ach, wäre sie nur bei Franzi. Weit weg von Karsten. Mit Franzi war alles so einfach. Meistens jedenfalls.
Meike holte ihr Handy aus ihrer Handtasche und wählte Franzis Nummer.
»Hallo, Meike, seid ihr gut angekommen?«, begrüßte Franzi sie. Auch durch das Telefon konnte Meike hören, wie Franzi strahlte.
»Ja, wir sind gut durchgekommen, und die Kinder waren auch anständig. Bisher zumindest.« Meike merkte, wie sie sich beim Klang von Franzis Stimme langsam entspannte.
»Das ist schön. Was steht heute noch an?«
»Wandern.« Meike zuckte mit den Schultern.
»Das ist doch etwas für dich«, lachte Franzi. »Und wie geht es mit deinem Kollegen?«
»Ich kann Karsten jetzt schon nicht mehr sehen«, flüsterte Meike. Sie wusste nicht, wie dünn die Wände waren, aber sie wollte unbedingt vermeiden, dass Karsten etwas von ihrem Gespräch belauschte. Er wusste ohnehin bereits viel zu viel.
»Es sind doch nur fünf Tage.« Franzis Stimme klang sanft. »Aber ich fände es auch schöner, wenn du stattdessen bei mir wärst.«
»Danke für deine süße Nachricht.«
»Du hast sie gefunden?«
»Natürlich.« Meike lächelte.
»Franzi? Wo steckst du?«, tönte es im Hintergrund.
»Ich komme sofort. Einen Moment noch«, rief Franzi zurück, bevor sie wieder in den Hörer sprach. »Ich muss leider wieder an die Arbeit. Ich werde schon vermisst.«
»Ist gut. Ich muss mich ohnehin fertigmachen.« Meike versuchte, die Enttäuschung in ihrer Stimme zu verbergen.
»Lass dich von diesem Karsten nicht ärgern. Er ist es nicht wert. Mach dir ein paar schöne Tage«, bemühte sich Franzi, Meike aufzuheitern.
»Ich werde es probieren.«
»Ich vermisse dich«, sagte Franzi zärtlich.
»Hm, ja«, murmelte Meike zurück. Sie hatte immer noch Angst, jemand könnte etwas mitbekommen. Auf keinen Fall wollte sie, dass jemand – oder besser gesagt: dass Karsten etwas hörte, Fragen stellte.
Franzi seufzte schwer in den Hörer.
Meike wusste, dass es nicht die Antwort gewesen war, die Franzi hatte hören wollen. »Ich vermisse dich auch«, wisperte sie ganz leise.
Nachdem sie das Gespräch beendet hatten, ließ sich Meike auf ihr Bett fallen. Sie verschränkte die Hände im Nacken und starrte an die Decke. Würde sie Franzi jemals das sagen können, was sie hören wollte? Nicht, weil sie es nicht auch fühlte, sondern weil sie Angst hatte, jemand könnte es mitbekommen? Andererseits . . . was würde im schlimmsten Fall passieren?
Bei Franzis Mutter war es am Ende gar nicht so schwer gewesen, Franzis Hand zu halten oder sie zu küssen. Es hatte sich richtig angefühlt, obwohl sie nicht ganz allein mit Franzi gewesen war. Doch wenn es nicht Franzis Mutter war, sondern jemand anders . . .
»Meike, bist du noch hier?« Das Klopfen an ihrer Tür und Karstens unerträgliche Stimme rissen Meike aus ihren Gedanken.
Sie sah auf ihre Armbanduhr. Die Stunde war schon verstrichen, sie musste los. Auf in den Kampf, sprach sie sich Mut zu. »Ich komme«, rief sie zurück. Schnell zog sie sich ihre Jacke über und die Wanderschuhe an, dann trat sie aus ihrem
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