Klassentreffen
ihn kriegen. Bei mir hat sie’s auch versucht – bei wem übrigens nicht? -, aber es hat nichts genutzt.«
Ich hatte mir unseren Strandspaziergang anders vorgestellt. Ich will das alles nicht hören. Ich will die romantische Stimmung wieder zurückhaben, aber daran ist nicht zu denken.
»Bis zu dem Tag, an dem sie verschwunden ist, war sie hinter mir her. Und in der Zwischenzeit hat sie sich mit jedem vergnügt, den sie kriegen konnte, und das waren ganz schön viele«, erzählt Bart.
Ich denke an Olaf und Robin. Nette, intelligente Jungs, die sich Isabels Anziehungskraft trotzdem nicht entziehen konnten. Kann ich mir denn sicher sein, dass nicht auch Bart ihrem Charme erlegen ist? Nicht dass mir das nach der langen Zeit noch was ausmachen würde, wenn man mal davon absieht, dass es ein Mordmotiv sein könnte.
»Warum musste unsere Beziehung damals geheim bleiben?«, frage ich ins Blaue hinein. »Warum durfte niemand davon wissen? Und lass bitte meine Hand los, du tust mir weh.«
Zerknirscht zieht Bart meine Hand an seine Lippen. »Entschuldige, aber warum sagst du das nicht früher?« Er küsst meine Hand ein paarmal und sagt: »Unsere Beziehung war geheim, weil ich dich nicht in Schwierigkeiten bringen wollte. Isabel war hinter mir her und konnte mich nicht kriegen; wenn sie rausgefunden hätte, dass ich in dich verliebt war, hättest du keine ruhige Minute mehr gehabt. Ich dachte, das wäre dir klar gewesen.«
»Und ich dachte, du würdest dich wegen mir schämen, und deshalb dürfte es keiner wissen«, sage ich. »Aber ich war damals so verliebt, dass ich mich damit abgefunden habe.«
Bart seufzt. »Hast du etwa deshalb Schluss gemacht? Mein Gott, was doch alles schief laufen kann, wenn man einfach davon ausgeht, dass der andere einen schon versteht.«
Ich belasse es bei der Erklärung. Außerdem weiß ich wirklich nicht, warum ich Schluss gemacht habe. Ich kann mich einfach an nichts mehr erinnern. Es können hundert Gründe gewesen sein, einer wäre allerdings sehr einleuchtend. Doch das will ich nicht glauben.
Aber wie soll ich mich je auf diesen Mann einlassen, wenn ich noch nicht mal unsere gemeinsame Vergangenheit kenne? Trotzdem will ich ihn.
Ich betrachte Barts männliches Profil und fühle mich unwiderstehlich von ihm angezogen – das Gefühl ist genauso stark wie früher. In all dem Durcheinander von Emotionen und Erinnerungen kann ich nur auf dieses Gefühl vertrauen – es ist alles, was ich habe.
Todmüde lehne ich mich an ihn; er legt sofort den Arm um mich.
»Und jetzt?«, fragt er, das Kinn auf meinem Scheitel. »Was machen wir jetzt?«
Die Sonne ist längst untergegangen, es wird frisch, und die Dunkelheit kriecht langsam über den Strand.
»Mir ist kalt, und ich bin müde«, sage ich.
»Willst du nach Hause?«
»Das ist so weit«, murmle ich in sein T-Shirt.
»Mein Zuhause ist näher«, höre ich seine Stimme über mir.
Ich löse mich aus seinem Arm und schiebe ihn ein Stückchen weg, damit ich ihn besser ansehen kann.
»Tja, dann muss ich wohl bei dir schlafen«, sage ich.
Bart nickt mehrmals.
»Schlafen« , betone ich noch einmal.
»Klar, ich hab’s gehört. Irgendwann müssen wir auch mal schlafen.«
Die Spannung fällt von mir ab, wir grinsen uns an und gehen dann Hand in Hand zurück; Badegäste sind jetzt keine mehr zu sehen. Deshalb sticht mir das eine Auto unten am Strandaufgang sofort ins Auge, als wir in meinen Ford steigen.
Ich lasse den Motor an, fahre vom Parkplatz und werfe einen Blick in den Rückspiegel. Im Schatten der dunklen Düne kann ich nicht viel erkennen, aber wenn mich nicht alles täuscht, folgt uns ein dunkler Peugeot.
Ich gebe Gas, behalte den Wagen im Auge und blinke rechts. Der Peugeot folgt uns in kurzer Entfernung. An der
Kreuzung tue ich so, als wollte ich geradeaus fahren, reiße aber im letzten Moment das Steuer herum und biege links ab.
»He, du fährst falsch!«, ruft Bart.
»Tut mir Leid«, sage ich. »Nicht aufgepasst.«
Rasch fahre ich in eine Querstraße, biege noch ein paarmal willkürlich ab. Bart guckt mich mit wachsender Verwunderung an.
»Sag mal, was machst du da eigentlich?«, erkundigt er sich.
»Ich hatte den Eindruck, dass uns jemand folgt.«
Bart schaut über die Schulter auf die leere Straße hinter uns und grinst. »Frauen«, brummt er bedeutungsvoll.
Auf dem Weg zu Barts Wohnung sehe ich den Peugeot nicht mehr, aber bis er mich auch in meinen Gedanken nicht mehr verfolgt, dauert es noch eine ganze
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