Klassentreffen
mich erwartungsvoll an, also berichte ich in Kurzfassung von meinem Gespräch mit Groesbeek und schildere ausführlich, wie ich seine Katzen kennen gelernt habe.
»Sie haben alle Mädchennamen«, sage ich. »Anne, Lydie, Lies, Nina, Roos, Belle … Lies kann eine Abkürzung für Liset sein. Anne kommt von Anne Sophie, Lydie von Lydia, Nina ist Nina geblieben, Roos steht für Rosalie und Belle kann Isabel sein.«
Bart bleibt der Mund offen stehen. »Nimmst du mich auf die Schippe? Hat er die Viecher echt so genannt?«
»Ja.«
»Das musst du unbedingt der Polizei melden!«
»Hab ich bereits. Sie wollten mit ihm reden, obwohl sie nicht sonderlich beeindruckt waren.«
»Sind die blind oder was? Das sind doch alles Mädchen, denen etwas zugestoßen ist!«
Dass er sofort den Zusammenhang sieht, macht mich sprachlos. Ich hatte noch nie von den anderen Mädchen gehört, bevor ich Nachforschungen anstellte.
»Du weiß ja bestens Bescheid«, sage ich.
»Ich sehe schließlich Nachrichten und arbeite bei der Zeitung.« Bart steht auf und hält mir die Hand hin. »Wollen wir ein Stück gehen?«
Ich lasse mich hochziehen und bin froh, dass er meine Hand nicht wieder loslässt. Eine Zeit lang gehen wir schweigend am Meer entlang, bis Bart mich ernst ansieht. »Hör mal, Sabine, die Vorstellung, dass du allein zu Groesbeek gegangen bist, behagt mir ganz und gar nicht. Wenn er wirklich was mit diesen Fällen zu tun hat, hättest du in eine ziemlich üble Lage kommen können.«
»Ich hab ganz nah an der Tür gesessen«, sage ich.
»Also war dir selbst nicht wohl bei der Sache. Warum bist du dann überhaupt hingegangen?«
»Weil vieles wieder hochkommt. Je mehr ich mich mit damals beschäftige, desto mehr kommt hoch. Die eine Erinnerung zieht die nächste nach sich. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass ich mehr über Isabels Verschwinden weiß, und jetzt bin ich mir sicher.«
Ich werfe einen Seitenblick auf Bart. Er ist stehen geblieben und schaut aufs Meer hinaus. »Warum verdrängt man bestimmte Ereignisse?«, sinniert er.
Erwartet er eine Antwort, oder ist das nur eine rhetorische Frage – ich weiß es nicht. Lange bleibt es still, dann sieht er mich fragend an.
»Weil sie zu schockierend sind, um damit weiterzuleben«, sage ich.
»Was könnte damals passiert sein, das für dich so schockierend war?«, fragt Bart weiter.
»Keine Ahnung.« Ich weiche seinem Blick aus.
Bart fasst mich am Kinn und zwingt mich, ihn anzusehen. »Ich glaube, das weißt du sehr wohl. Zumindest hast du eine Vermutung. Warum sprichst du sie nicht aus?«
Ich seufze. »Weil ich mir eben nicht sicher bin.«
»Worüber?«
»Dass ich gesehen habe, was mit Isabel passiert ist«, sage ich bedrückt.
»Genau das glaube ich auch. Aber warum hast du das verdrängt? Falls sie ermordet wurde, verstehe ich gut, dass es für dich furchtbar war, das mit anzusehen. Ich kann mir auch vorstellen, dass du Todesängste ausgestanden und dich erst mal völlig zurückgezogen hast. Dass du nicht mal mehr mich sehen wolltest. Aber warum bist du dann später nicht zur Polizei gegangen, warum hast du das Ganze mit aller Macht verdrängt?«
Barts Stimme klingt immer eindringlicher, dabei hält er mich so fest an den Oberarmen, dass es beinahe schmerzt. Seine Augen sind nah, so nah, dass sie fast schon eine hypnotisierende Wirkung auf mich haben.
»Ich weiß es einfach nicht«, flüstere ich, aber das ist nicht wahr. Ich fange an zu weinen. Wir wissen beide, dass es nur einen Grund geben kann, weshalb ich mich der Wahrheit nicht stellen will: Ich muss den Mörder erkannt haben, und es war jemand, den ich sehr gern hatte.
KAPITEL 36
Die Stimmung ist komplett umgeschlagen. Jegliche Romantik ist dahin, stattdessen ist da etwas Undefinierbares. Bart hält nach wie vor meine Hand, aber so fest, dass er meine Finger schmerzhaft zusammenpresst.
»Ich war’s nicht, falls du das denkst«, sagt er. »Ich konnte sie zwar nicht leiden, hatte aber auch keine Probleme mit ihr.«
»Olaf van Oirschot meinte, du hättest was mit ihr gehabt«, sage ich.
»Glaubst du das etwa? Ich bin doch mit dir gegangen! Hör mal, Sabine, das weißt du doch wohl besser!« Bart ist entrüstet.
Mir ist damals zwar nichts dergleichen aufgefallen, aber andererseits, nehmen wir denn immer alles wahr, was um uns herum passiert?
»Mit Isabel, diesem Flittchen!«, knurrt Bart. »Wenn ein Mann sie bloß angeschaut hat, hat sie sich schon ins Zeug gelegt, nur weil sie dachte, sie könnte
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