Klassentreffen
kalorienreiche Mahlzeit, die fade Komödie amüsiert mich nur begrenzt. Als der Film fast zu Ende ist, klingelt es.
Ich zucke zusammen und schalte automatisch den Fernseher aus.
Wieder gellt die Klingel durch die Wohnung, außerdem hämmert es an der Tür.
»Sabine! Bist du zu Hause? Ich bin’s!«
Olaf.
»Sabine!«
Regungslos sitze ich auf dem Sofa, die Fernbedienung in der ausgestreckten Hand, als könnte ich Olaf damit wegzappen. Er schlägt immer fester gegen die Tür.
»Sabine! Mach auf!« Die Wut in seiner Stimme jagt mir Angst ein.
Auf Zehenspitzen schleiche ich zum Telefon, doch als ich den Notruf wählen will, schwebt mein Finger zögernd über den Tasten. Wie war die Nummer gleich wieder? 122. Nein, 112, oder muss ich da noch was vorwählen? Mist, warum lässt mich mein Gedächtnis immer dann im Stich, wenn ich es am nötigsten brauche?
Ich haste ins Schlafzimmer, wo die Tasche mit dem Handy auf dem Bett liegt. Im digitalen Telefonbuch finde ich die 112. Mit dem Finger auf der Wähltaste lausche ich in den Flur und höre Olaf mit aller Kraft auf die Tür eindreschen. Sobald er sie eintritt, rufe ich an.
Olaf tritt die Tür nicht ein. Es wird still, und einen Moment lang hoffe ich, dass er gegangen ist. Ich spitze die Ohren, schleiche aus dem Schlafzimmer und bleibe wie angewurzelt stehen. Die Wohnungstür schwingt auf, und Olaf kommt herein, mit einem Schlüssel in der Hand.
Der Schock ist so groß, dass mir das Blut in den Ohren rauscht. Perplex starre ich ihn an. Er starrt zurück, und wir bleiben eine ganze Weile so stehen.
»Olaf«, sage ich schließlich, weil mir nichts anderes einfällt.
Gefährlich ruhig sieht er mich an. »Du bist also doch da. Warum machst du nicht auf?«
»Ich hab dich nicht gehört«, sage ich und bemühe mich um einen möglichst harmlosen Gesichtsausdruck. »Wie bist du denn reingekommen?«
Er kommt auf mich zu und hält mir meinen Reserveschlüssel vor die Nase.
»Gefunden«, sagt er kühl. »Schon vor’ner Weile.«
»Gefunden? Mitgehen lassen, meinst du wohl! Ich kann mich nicht erinnern, dass ich dir den gegeben hab!« Ich reiße ihm den Schlüssel aus der Hand und versuche Haltung zu bewahren, aber die Angst hinter der Maske ist mir wohl anzumerken.
»Mitgehen lassen, genau«, sagt Olaf ruhig.
Angst und Wut halten sich die Waage. Ruhig bleiben, sage ich mir, jetzt wo er in der Wohnung ist, darf ich ihn nicht noch mehr gegen mich aufbringen. Er hat schon so einen seltsamen Ausdruck in den Augen.
Ich gebe mich also locker und lächle ihn an. »Tja, da du nun mal da bist: Magst du vielleicht was trinken? Ein Bier?«
Ich bin schon unterwegs in die Küche. Olaf folgt mir und bleibt in der Tür stehen. Er lehnt sich mit verschränkten Armen an den Rahmen und verfolgt jede meiner Bewegungen. Mit äußerster Selbstbeherrschung schaffe ich es, eine Bierflasche aufzumachen, ohne zu zittern. Ich selbst kann jetzt auch einen Schluck vertragen. Also nehme ich noch eine Flasche und öffne sie. Dann drehe ich mich um und reiche Olaf sein Bier. Er nimmt die Flasche, trinkt aber nicht, sondern stiert mich weiter an. Ich lehne mich an die Spüle und weiche seinem Blick aus.
»Warum hast du nicht aufgemacht?« Seine Stimme klingt ruhig, aber an seinem Hals sehe ich einen Muskel zucken.
»Ich hab dich nicht gehört«, wiederhole ich.
»Was hast du gerade gemacht?«
»Ich hatte meinen Diskman auf«, sage ich und gehe in Richtung Wohnzimmer, damit ich näher am Telefon bin. Olaf folgt mir, trinkt einen Schluck Bier und betrachtet mich eine Weile schweigend. »Wie ich gehört habe, warst du bei meiner Mutter«, sagt er vorwurfsvoll.
»Ja, das war nett«, sage ich, einen Tick zu schrill und zu lebhaft. »Ich war in der Gegend und dachte: Mal gucken, wo Olaf früher gewohnt hat. Da hab ich gesehen, dass deine Mutter noch immer da wohnt, also hab ich ihr rasch Guten Tag gesagt.«
»Warum?«
»Einfach so.« Es gelingt mir, Verwunderung zu heucheln. »Ist doch ganz normal, dass man die Eltern seines Freundes kennen lernen will, oder?«
»Ich hätte es besser gefunden, wenn wir sie zusammen besucht hätten«, sagt Olaf schroff.
»Manchmal ist ein Gespräch von Frau zu Frau genau das Richtige.«
»Worüber habt ihr geredet?« Seine Stimme klingt argwöhnisch.
Meine Gedanken überschlagen sich. Es kann gut sein, dass seine Mutter ihm ausführlich erzählt hat, worüber wir geredet haben.
»Über dich«, sage ich. »Und über Isabel und Eline. Ich wollte gern wissen,
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