Klassentreffen
jemandem Kontakt hätte halten wollen, dann hätte ich das gemacht. Andererseits haben wir uns auch jahrelang nicht gesehen, und trotzdem ist es nett, nach der langen Zeit.«
Ehrlich gesagt, fühle ich mich immer noch unbehaglich in seiner Nähe. Mit jedem Blick von ihm wird mir stärker bewusst, dass mein Haar glanzlos herunterhängt, ich müde und blass aussehe und Schweißflecken unter den Achseln habe. Ich hatte zu Hause duschen und mir anschließend ein paar Käse-Schinken-Toasts machen wollen. Stattdessen sitze ich hier in der Kantine einem attraktiven Typen gegenüber und sehe aus wie ausgespuckt.
In dem Moment stürzt sich Olaf auf sein Brötchen wie ein Bussard auf seine Beute und verspeist es mit sicht- und hörbarem Genuss. Normalerweise mag ich es nicht, wenn mich Männer auf die gleiche Art ansehen, wie sie ihr Essen hinunterschlingen. Da hilft dann auch kein noch so hübsches Gesicht mehr, aber in diesem Fall bin ich eher erleichtert, fasse wieder Selbstvertrauen. Schweißflecken sind eklig, aber wenn einem die Bröckchen aus dem Mund fallen, ist das mindestens genauso schlimm.
Vor allem wundert mich, dass das Olaf gar nichts auszumachen scheint. Er entschuldigt sich nicht, sondern gabelt die Bröckchen auf und schiebt sie in den Mund. Er hat noch nicht runtergeschluckt, als er bereits weiterredet: »Irgendwie fänd ich’s doch nett, die ganzen Leute von früher mal wieder zu sehen. Falls du’s dir anders überlegst, sag mir Bescheid.
Dann kannst du bei mir mitfahren. Aber erzähl doch mal, wie geht’s eigentlich Robin?«
»Gut. Er wohnt in England«, sage ich und bin froh, dass wir das Thema Schule fallen lassen können.
»Ach ja?« Olaf sieht mich interessiert an. »Und was macht er da?«
»EDV, wie du«, sage ich.
»Welche Branche?«, will Olaf wissen.
»Textilien«, sage ich. »Van Gils und Sohn.«
»Und bleibt er dort? Oder ist das nur vorübergehend?«
»Ich hoffe, es ist bloß für eine Weile«, sage ich. »Wenn er auch noch auswandert … Meine Eltern sind nämlich schon vor Jahren nach Spanien gezogen. Robin und ich haben beide in Amsterdam gewohnt und gearbeitet, aber dann hat seine Firma eine Niederlassung in England gegründet. Wenn die einigermaßen läuft, kommt er wieder. Hoffe ich jedenfalls.«
»Ja, ihr beide habt euch schon immer gut verstanden.« Olaf beißt so gierig in sein Krokettenbrötchen, dass ich sicherheitshalber wegschaue. Ich sehe erst wieder hin, als ich mir sicher sein kann, dass er fertig gekaut hat. Er wischt sich den Glibber vom Mund und spült den Rest mit einem Schluck Kaffee hinunter. Nach einem Blick auf seine Armbanduhr steht er auf.
»Die Arbeit ruft. War nett mit dir, das sollten wir öfter machen.« Er lacht so herzlich, dass ich das Lachen spontan erwidere.
»Gern«, sage ich und meine es ehrlich, trotz der Krokette.
Wir tragen unsere Tabletts weg und gehen nebeneinander her zum Lift.
»Nach unten, ja?«, sagt Olaf. »Ich fahr noch eben mit.«
Das wäre natürlich nicht nötig. Er könnte durchaus einen anderen Lift nehmen. In meinem Bauch kribbelt es leicht.
Als wir unten sind und die Türen aufgehen, verlässt Olaf mit mir den Lift.
Verlegen blicke ich zu ihm auf. Ich weiß, was jetzt kommt: die Abtastphase. Man will sich gern verabreden, druckst herum und versucht herauszubekommen, ob der andere das auch will. Und ich muss lächeln und ein bisschen flirten, um ihn dazu zu ermutigen, aber so etwas kann ich leider gar nicht gut …
»Also dann, wir sehen uns morgen. Frohes Schaffen!«, sage ich munter. Ich rücke meine Schultertasche zurecht, hebe grüßend die Hand und gehe forsch durch die Eingangshalle. Ich sehe mich nicht um; trotzdem bin ich mir so gut wie sicher, dass mir Olaf verblüfft nachschaut.
KAPITEL 5
Frische Luft! Ich gehe in der hellen Maisonne zu meinem Rad. Ich habe zwar ein Auto, einen Ford Ka, aber den nehme ich meist nur bei Regen. In Amsterdam ist man mit dem Fahrrad ohnehin schneller, vor allem morgens im Berufsverkehr. Ich bin froh, dass ich nicht mit dem Auto unterwegs bin; ich habe ein großes Bedürfnis nach frischer Luft. Mein Kopf dröhnt.
Langsam fahre ich durch den Rembrandtpark, wo das frische Grün wie ein zarter Schleier über den Bäumen liegt. Die Leute führen ihre Hunde aus, ein paar Schüler sitzen rauchend mit einer Tüte Pommes auf einer Bank, und im Teich schnattern die Enten. Ich fahre so langsam, dass die Jogger keine Mühe haben, mich zu überholen.
Ach, ist das herrlich im Freien! Ich
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