Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Klassentreffen

Titel: Klassentreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Vlugt
Vom Netzwerk:
nichts wie weg hier. Ins Freie, schnell. Wieder aufs Rad. Vorbei an all den einkaufsbummelnden, herumschlendernden und Eis schleckenden Leuten. Nach Hause, zurück in meine Höhle. Ich fahre so schnell ich kann und komme völlig verschwitzt an. Rad wieder in den Hausflur, abschließen, Treppe hoch, in meine vertrauten vier Wände. Mit einem beruhigenden Klacken fällt die Tür hinter mir ins Schloss.
    Keine Nachrichten auf dem Anrufbeantworter.
    Nur Erinnerungen.

KAPITEL 6
    Isabel Hartman verschwand an einem sommerlichen Tag im Mai, genau vor neun Jahren. Sie fuhr mit dem Rad von der Schule nach Hause, kam aber nie dort an. Seit dem ersten Tag im Kindergarten waren wir dick befreundet, doch eines Tages, als wir fünfzehn waren, verschwand sie aus meinem Leben. In Wirklichkeit hatte ich sie schon viel früher verloren, eigentlich schon damals in der Orientierungsstufe, als wir uns immer mehr auseinander entwickelten. Aber das heißt nicht, dass sie mein Leben nicht weiterhin beeinflusst hätte. Und das ist eigentlich immer noch so. Sie beherrscht auf einmal wieder mein Denken, das muss ich zugeben. Ab der Grundschule war Isabel meine beste Freundin, und die ganzen Jahre über waren wir unzertrennlich. Stundenlang saßen wir in ihrem Zimmer zusammen. Isabel hatte eine gemütliche Sitzecke, in der wir uns mit Cola, Chips und Dips regelrecht verschanzten. Wir hörten Musik und redeten über alles, was uns so beschäftigte. Über Freundschaft, Verliebtheit, ihren ersten BH, welche Mädchen in unserer Klasse schon ihre Tage hatten und welche noch nicht.
    Ich weiß noch gut, dass ich sehr traurig war und es erst gar nicht wahrhaben wollte, als wir uns langsam entfremdeten.
    Den ganzen schönen Sommer über hatten wir praktisch jeden Tag zusammengesteckt. Auch im September war es noch warm und sonnig. Wir waren zwölf und gingen aufs Gymnasium. Gemeinsam fuhren wir mit dem Fahrrad hin, aber sobald wir uns dem Schulhof näherten, tauchte jede in ihre eigene Welt ein. Eine Welt, in der ich verkümmerte und
sie aufblühte. Kaum hatten wir den Schulhof erreicht, änderte sich ihre Haltung. Sie saß aufrechter im Sattel, kicherte nicht mehr, sondern strahlte eine fast schon majestätische Überlegenheit aus. Sogar die Jungs aus der Oberstufe drehten sich nach ihr um.
    Isabel veränderte sich. Sie kleidete sich anders und hatte schon Körbchengröße B, als meine Hormone noch im Tiefschlaf lagen und ich eine hässliche Zahnspange trug. Sie ließ ihr langes dunkles Haar kurz schneiden, trug eine Lederjacke und löchrige Jeans, ließ sich ein Nasen- und Nabelpiercing setzen und wirkte supercool.
    Eines Tages fuhr sie, kaum dass der Schulhof in Sicht kam, von mir weg, stellte ihr Rad am anderen Ende des Fahrradschuppens ab und steuerte selbstbewusst auf die anderen zu, die ihr Aufmerksamkeit und Respekt zollten.
    Ich traute mich nicht, hinter ihr herzugehen. Ich konnte Isabel und ihre Freundinnen nur anstarren. Sie waren alle groß und schlank und zogen sich entsprechend an, mit knappen bauchfreien Tops. Langes blond oder rot gefärbtes Haar fiel ihnen über die Schultern oder war lässig aufgesteckt, wobei ihnen ein paar Strähnen raffiniert ins sonnengebräunte Gesicht fielen. Sie rauchten alle, blickten selbstbewusst drein und kommunizierten in einer Sprache, die ich nicht beherrschte.
    Mir wurde klar, dass ich eine Entwicklung verpasst hatte, die sie alle rechtzeitig bemerkt hatten. Und dass es für mich zu spät war, daran noch etwas zu ändern.
     
    Isabel litt an Epilepsie, aber das wusste zu Anfang kaum jemand. Wirklich schwere Anfälle hatte sie selten, weil sie Medikamente nahm, aber es kam schon mal vor, dass sie eine Absence oder einen leichten Anfall hatte. Ich merkte es beinahe gleichzeitig mit ihr, wenn sich so etwas ankündigte.
Wenn noch genug Zeit war, gab sie mir ein Zeichen, aber meist merkte ich es daran, dass ihr Blick auf einmal starr wurde oder die Hände krampfartig zuckten.
    In der Orientierungsstufe fuhren wir noch jeden Tag miteinander zur Schule und wieder nach Hause. Manchmal mussten wir kurz anhalten, wenn sie einen Anfall bekam. Dann legte ich rasch unsere Räder an den Straßenrand, und wir setzten uns an die Böschung. Notfalls im strömenden Regen. Nach schwereren Anfällen war Isabel todmüde; ich schob dann ihr Rad und brachte sie nach Hause.
    Daran änderte sich lange Zeit nichts, trotzdem war es mit der Freundschaft abrupt vorbei, sobald der Schulhof in Sicht kam.
     
    Am Tag, an dem sie

Weitere Kostenlose Bücher