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Klassentreffen

Titel: Klassentreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Vlugt
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zu Leibe, lüfte überall, beziehe das Bett neu, lasse die Waschmaschine laufen, schütte Chlor in die Toilette – kurzum: Ich gebärde mich wie der weiße Wirbelwind und kann einfach nicht mehr aufhören. Mit dem Staubsaugerrohr fahre ich die Fußleisten entlang und lege mich auf den Bauch, um unters Bett zu kommen. Wer wenig Stauraum hat, löst das Problem mit Kartons und Plastiktüten unterm Bett. Keine Ahnung, was sich da unten alles angesammelt hat. Ich sehe nur die dicke Staubschicht darauf. Bisher war sie mir egal, aber jetzt stört sie mich massiv. Ich ziehe alles hervor, wische den Staub von Kartons und Tüten und gucke bei der Gelegenheit auch gleich hinein. Alte Wanderschuhe, Schulbücher, ein nagelneuer Karateanzug aus der Zeit, als ich meinte, Selbstverteidigung lernen zu müssen, ein Zelt, eine kaputte Luftmatratze, ein Beutel mit Stangen. Mein Gott, was soll ich bloß mit dem ganzen Kram?
    Da fällt mein Blick auf die Schachtel mit den Tagebüchern. Ich dachte, die sei auf dem Speicher. Die plötzliche Konfrontation mit den vertrauten, selbst gemachten Einbänden lässt mich minutenlang regungslos verharren.
    Meine Tagebücher. Natürlich hatte ich sie nicht vergessen, aber es ist mir nie in den Sinn gekommen, wieder mal reinzuschauen. Ich weiß noch so ungefähr, was drinsteht, zumindest glaube ich das.
    Nun doch neugierig geworden, greife ich nach dem obersten Tagebuch. Es ist mit einem Stoff mit Rosenmuster
bezogen; ich sehe noch vor mir, wie ich mich am Schreibtisch mit dem Einband abmühe. Wie alt war ich damals? Etwa vierzehn oder fünfzehn.
    Ich schlage das Buch auf und suche nach dem ersten Datum. 1. Januar – klar, ich gehe nun mal gern methodisch vor. Wenn irgend möglich, richtete ich es so ein, dass ich zu besonderen Daten ein neues Tagebuch beginnen konnte.
    Und ich war noch vierzehn, wie ich beim Weiterblättern sehe. Das Tagebuch geht über einen relativ langen Zeitraum, weil ich keine ellenlangen Geschichten geschrieben habe. Im Grunde ist es eher ein Notizbuch, so kurz und knapp sind die Einträge.
    Mit dem Buch gehe ich ins Wohnzimmer und lege mich aufs Sofa. Es wird allmählich Zeit, mit dem Putzen aufzuhören; ich bin müde.
    Langsam schlage ich das Tagebuch wieder auf. Vorn ist mein Stundenplan eingeklebt, und mir fällt ein, dass der Plan vom nächsten Schuljahr hinten ist. Jahrelang war das alles aus meinem Gedächtnis verschwunden, aber jetzt, wo ich die ganzen Schulfächer sehe, fühle ich mich, als müsste ich gleich Hausaufgaben machen. Ich blättere mich in die Vergangenheit zurück. Neben jeden Eintrag habe ich eine Wolke, eine Sonne oder beides oder Regenstriche gezeichnet. Das habe ich damals so gemacht, warum auch immer.
    Mein Blick gleitet über die vertraute runde Handschrift, über die mit blauer Tinte niedergeschriebenen Geheimnisse. Hier und da lese ich ein Stückchen, vorsichtig und ängstlich, was ich wohl vorfinde.
    Nichts Besonderes.
    Es geht um den Sturm, wegen dem ich zu spät zum Unterricht kam, darum, dass der Wind gedreht hatte, sodass ich mich auf dem Nachhauseweg dagegenstemmen musste, um
die Bücher, die ich nach der Schule in der Bibliothek ausgeliehen hatte. Kein Wort über Isabel.
    Ich blättere zu Montag, dem 8. Mai – dem Tag, an dem Isabel verschwand.
    »Ein Scheißtag. Blöd, dass das Wochenende schon wieder vorbei ist. Gerade bin ich nach Hause gekommen und gehe jetzt gleich duschen. Der Rückweg mit dem Rad war so anstrengend, dass ich total durchgeschwitzt bin. Wenn wir doch nur näher an der Schule wohnen würden!«
    Das ist alles. Kein Wort über Isabel. Aber warum auch, ich konnte ja noch nicht wissen, welche Bedeutung der Tag haben würde. Doch auch an den nächsten Tagen habe ich kein Wort über Isabel verloren. Nur kleine Wolken und Sonnen...
    Mein Blick bleibt an der Sonne neben der Acht vom 8. Mai hängen. Es war schönes Wetter. Warm für die Jahreszeit. Ich erinnere mich, dass Olaf das auch gesagt hat, dass es bei der Matheprüfung in der Turnhalle brütend heiß gewesen sei.
    Auf einmal werde ich unruhig, und eine Frage geht mir durch den Kopf. An dem Tag kann es doch gar nicht windig gewesen sein. Es war herrliches Wetter. Warum war das Radfahren dann so anstrengend?

KAPITEL 17
    Die Sache beschäftigt mich den ganzen weiteren Nachmittag und den Abend. Ich versuche das geblümte Tagebuch auf dem Tisch zu ignorieren, lege es sogar in die Schachtel zurück, aber es lässt mir keine Ruhe. Das plötzliche Eintauchen in die

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