Klassentreffen
voller Misstrauen. »Was denn?«
»Es geht um Isabel Hartman.«
Stille.
»Du hast sie doch gekannt, oder?«
Das Mädchen dreht den Kopf weg.
»Was kannst du mir über den Tag sagen, an dem Isabel verschwunden ist?«, frage ich weiter.
Unvermittelt sieht sie mich an. »Ich will nicht über sie reden!«
»Warum nicht?«
»Sie ist tot! Welchen Sinn hat es, da noch drüber zu reden?«
»Woher weißt du, dass sie tot ist?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Muss ja wohl so sein. Sie ist schon so lange weg.«
»Was glaubst du, ist mit ihr passiert?«
»Keine Ahnung. Vielleicht weiß es ihr Freund.«
»Welcher Freund?«
»Der Junge, mit dem sie am Strandaufgang verabredet war.«
»Sie war verabredet? Am Tag, als sie verschwunden ist? Mit wem?«
Sie sieht mich aus hellblauen Augen an. »Das weißt du doch ganz genau«, sagt sie.
Sie hat Recht. Wie konnte ich das nur vergessen? Isabel hatte an jenem Tag eine Verabredung an der Imbissbude beim Waldstück Dunkle Dünen . Ich hatte mitbekommen, wie sie in der Schule davon erzählte. Dass sie ihn satt habe und Schluss machen wolle. Egal, wie weh ihm das tun würde. Dabei lachte sie, und ich wurde schreckensstarr, denn ich meinte, mitbekommen zu haben, mit wem sie sich treffen wollte, aber irgendwie hoffte ich immer noch, mich verhört zu haben. Dass Isabel sich die Jungs aussuchen konnte, wusste ich wohl, aber da waren zwei, von denen ich inständig hoffte, dass sie gegen ihre Anziehungskraft immun waren. Nur aus diesem Grund bin ich ihr an jenem Tag gefolgt. Nicht weil ich gern durch die Dünen fahren wollte, nein, ich wollte sehen, wer ihr Freund war. Oder besser gesagt: wer es nicht war. Ich fuhr einen kleinen Umweg zur Imbissbude, aber dort war kein Mensch. Ich schaute zum Streichelzoo am Waldrand hinüber und sah dort gerade eben noch jemanden in einer wohlbekannten weiße Lederjacke verschwinden, in Begleitung einer größeren Gestalt. Sofort stieg ich aufs Rad und fuhr zu der Stelle, an der die beiden verschwunden waren.
Ein stechender Schmerz zuckt mir durch den Kopf. Das Bild ist weg. Das Mädchen ebenfalls, es hat sich in Luft aufgelöst, als ich kurz abgelenkt war.
Mit rasenden Kopfschmerzen gehe ich auf mein Auto zu, aber dann überlege ich es mir anders. Ein Eisverkäufer fährt am Schulhof vorbei, und ich mache ihm ein Zeichen, anzuhalten.
»Ein Eis, junge Frau?«, sagt der Mann freundlich.
»Ja, Vanille bitte.«
»Mit Sahne?«
»Nein«, sage ich. »Lieber nicht.«
Ich gebe ihm einen Euro, nehme die Eistüte in Empfang und gehe zum Auto. Bei offener Tür, damit die Hitze entweichen kann, schlecke ich mein Eis. Dann schalte ich das Radio ein, lasse den Motor an und fahre los, zurück nach Hause.
KAPITEL 18
Am nächsten Morgen fällt es mir schwer, ins Büro zu gehen. Ich komme zu spät, finde das Sekretariat aber unbesetzt vor. Umso besser, dann merkt niemand, wann ich genau gekommen bin. Ich schalte meinen PC an und greife nach dem Umschlag, der demonstrativ auf der Tastatur liegt. Mit schräger Schrift steht Sabine darauf.
Ich öffne ihn und ziehe ein Blatt Papier heraus. Es ist nicht unterschrieben, aber ich erkenne Renées Handschrift sofort: Sabine, würdest du deine Privatkorrespondenz künftig zu Hause erledigen und nicht bei der Arbeit. Zeit genug dafür hast du ja.
Ich starre den Brief eine Weile an, dann zerreiße ich ihn. Die Schnipsel stecke ich in den Umschlag, schreibe Renée darauf und werfe ihn in den Eingangskorb auf ihrem Schreibtisch.
So, die erste Post ist beantwortet!
Als Nächstes checke ich meine Mails. Hauptsächlich Dienstliches, aber es sind auch drei Mails von Olaf dabei: zwei Witze und eine Einladung zum Ausgehen, um meinen Geburtstag zu feiern. Ich maile ihm zurück: Woher weißt du, dass ich demnächst Geburtstag habe?
Steht in deinem Geburtstagskalender , mailt er zurück.
Und was machen wir?
Überraschung , lautet die Antwort.
Spannend! , maile ich zurück.
Ich krame in meinem Arbeitskorb, ordne die langweiligen Tippjobs nach Priorität, hole mir in aller Ruhe einen Kaffee und mache mich dann an die Post, die sich auf meinem Schreibtisch stapelt.
Zinzy kommt herein, vertieft in einen Ordner.
»Wo ist Renée?«, frage ich.
»Weg, mit Wouter.« Sie legt den Ordner hin und setzt sich auf ihre Schreibtischkante.
»Hör mal, Sabine«, sagt sie.
Ich sehe auf. Zinzy sieht mich an, und ich merke deutlich, dass ihr die Sache unangenehm ist.
»Ich möchte dich warnen«, beginnt
Weitere Kostenlose Bücher