Klassentreffen
in der Arbeit an und melde mich krank.
»Darmgrippe«, sage ich zu Renée, die den Anruf entgegennimmt. »Ich hab schlimme Bauchschmerzen.«
»Ach ja?«, sagt sie. »So plötzlich? Na denn, gute Besserung.«
Ich schlüpfe wieder ins Bett und ziehe die Knie an, damit die Magenkrämpfe nachlassen.
Stattdessen treibt mich eine Schmerzwelle aus dem Bett zur Toilette. Plötzlich klingelt es.
Tja, wer auch immer da vor der Tür steht, ich bin jetzt nicht abkömmlich! Es klingelt noch mal, nachdrücklicher.
Wieder eine Schmerzwelle, ich halte mich am Rand der Klobrille fest, breche, ziehe ab und gehe dann mit weichen Knien zur Tür. Ich drücke den Knopf der Gegensprechanlage und bringe ein heiseres »Ja bitte?« hervor.
»Ärztlicher Kontrolldienst. Kann ich kurz reinkommen?«
Der Kontrolldienst! Du lieber Himmel, haben die es eilig! Ich drücke auf den Öffner, höre unten die Haustür aufgehen und danach schwere Schritte auf der Treppe.
Ein dunkelhaariger, stämmiger Mann mit einer Mappe in der Hand taucht auf dem Treppenabsatz auf und sieht mich fragend an: »Sabine Kroese?«
Ich drehe mich um und renne in die Wohnung. Der Mann bleibt vor der Tür stehen, aber als ich stöhnend auf der Toilette sitze, höre ich ihn durch den Flur ins Wohnzimmer gehen.
Ein grässliches Gefühl, mit Darmgrippe und den entsprechenden Geräuschen und Gerüchen auf dem Klo zu hocken, während ein paar Meter weiter ein Wildfremder geduldig wartet, bis man fertig ist. Ich wasche mir die Hände und traue mich kaum ins Wohnzimmer.
»O je«, sagt der Mann mitfühlend.
»Darmgrippe«, sage ich.
»Sieht ganz so aus. Ihr Arbeitgeber schickt mich, Sofortkontrolle. Offenbar hat man Zweifel, ob Sie wirklich krank sind, aber das steht wohl außer Frage. Wann glauben Sie denn, dass Sie wieder arbeiten können?« Der Kontrolleur blättert in seinen Unterlagen und wirft mir einen fragenden Blick zu.
»Keine Ahnung, hab mich ja gerade erst krank gemeldet.«
Er notiert etwas und meint dann väterlich: »Bleiben Sie ruhig ein paar Tage zu Hause.«
Genau das habe ich vor. Der Kontrolleur geht wieder, und ich sacke wie eine alte Frau aufs Sofa.
Sofortkontrolle! Dieser Misstrauensbeweis reicht schon für einen neuerlichen Krampfanfall.
Tagelang schleppe ich mich zwischen Sofa und Toilette hin und her, esse keinen Bissen und zwinge mich, literweise Fleischbrühe zu trinken. Wer Darmgrippe hat, zumal eine so üble wie ich, der muss viel Flüssigkeit zu sich nehmen. Aber was, wenn die Flüssigkeit genauso schnell wieder rauskommt?
Erst am Mittwochmorgen kann ich etwas bei mir behalten, wenn auch nur kleinste Portionen. Als das Telefon klingelt, gehe ich mit zitternden Knien hin, so schlapp fühle ich mich.
»Sabine Kroese.«
»Sabine, hier spricht Renée. Ich wollte mich mal erkundigen, wie es dir geht.« Renées Stimme hat einen misstrauischen Unterton, der mir nicht gefällt.
»Nicht besonders«, sage ich schroff.
»Ist es denn noch nicht vorbei?«
»Eigentlich nicht, nein.«
Einen Moment bleibt es still.
»Sehr seltsam«, sagt Renée schließlich. »Ich habe vorhin meinen Hausarzt angerufen, und der meint, so was müsse nach ein, zwei Tagen wieder vorbei sein.«
»Du hast deinen Hausarzt angerufen?«, wiederhole ich völlig perplex.
»Nun, es dauert ja schon ziemlich lange, finde ich, darum …«
»Ich bin erst den dritten Tag zu Hause!«, falle ich ihr ins Wort.
»Ehrlich gesagt, hatte ich dich heute Morgen im Büro erwartet. Wie dem auch sei, ich gehe jedenfalls davon aus, dass du nach Himmelfahrt wieder da bist.«
Ich traue meinen Ohren kaum. »Ich entscheide selbst, wann ich wieder zur Arbeit gehe, Renée. Und wenn du nicht glaubst, dass ich krank bin, kannst du gern vorbeikommen. Hier in der Wohnung hängt seit Tagen ein ganz spezieller Geruch, und es lohnt sich kaum, dass ich zwischendurch das Klo putze. Die Brille ist noch voller Spritzer. Ich lass sie gern dran, damit du dich überzeugen kannst, okay? Und die voll gekotzte Bettwäsche liegt auch noch hier rum, also …«
Tut-tut-tut. Renée hat eingehängt. Kopfschüttelnd lege ich auf. Es dauert eine gute halbe Stunde, bis das Händezittern nachlässt.
Um die Mittagszeit ruft Olaf an. Er ist lieb und besorgt und will vorbeikommen, aber das rede ich ihm aus. Meine Wohnung ist ein einziges Chaos, und ich sehe verboten aus. Ausgeschlossen, dass er mich so zu Gesicht bekommt.
Inzwischen fühle ich mich etwas besser. Mit sämtlichen Putzmitteln rücke ich dem Badezimmer
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