Klassentreffen
zu, und ich fahre fort: »Tja, ein bisschen seltsam war er schon. Ich habe mich immer leicht unbehaglich gefühlt, wenn ich mit ihm allein war, wenn Sie wissen, was ich meine. Nicht dass er mich angefasst hätte, aber er stand oft kurz davor … Und bei schlechtem Wetter hat er uns Schüler manchmal in seinem Transporter mitgenommen.«
Ein paar Sekunden ist es still. Hartog hüstelt hinter vorgehaltener Hand, blättert in der Akte und sagt: »Das ist uns bekannt.
Aus diesem Grund wurde er ja verhört, aber er sagte, er sei am Tag von Isabel Hartmans Verschwinden die ganze Zeit in der Schule gewesen. Mehrere Schüler und Lehrer haben das bestätigt.«
»Herr Groesbeek war mal hier, mal dort. Er pendelte zwischen verschiedenen Gebäuden auf dem Schulgelände. Mal hielt er sich in seinem Hausmeisterzimmer auf, dann fuhr er wieder mit seinem Transporter irgendwohin. Man wusste nie genau, wo er gerade war.«
Hartog vertieft sich in die Akte. »Isabel Hartman kam um zehn nach zwei aus der Schule«, sagt er schließlich. »Zwischen zwei und drei Uhr ist Herr Groesbeek mehrfach irgendwo auf dem Schulgelände gesehen worden.«
»Irgendwo auf dem Gelände – nicht an einem bestimmten Ort. Er kann also durchaus zwischendurch weggewesen sein.«
Hartog lehnt sich in seinem Stuhl zurück und klappt die Akte zu. Er wirkt müde, streckt sich kurz und seufzt.
»Fräulein Kroese, was haben Sie uns denn nun Neues mitzuteilen?«
»Ich bin an dem fraglichen Tag mit dem Rad hinter Isabel hergefahren.«
Auf einmal wirkt er interessiert. Seine Müdigkeit ist wie weggeblasen, er legt die Arme auf die Tischplatte und beugt sich leicht vor.
»Sie ist mit Mirjam Visser gefahren«, erzähle ich. »Ich dachte, sie würde mit Mirjam nach Hause gehen, denn die wohnte irgendwo in der Nähe des Jan Verfaillewegs; wo genau, weiß ich nicht. Aber Isabel fuhr weiter in Richtung Dunkle Dünen . Dort hatte sie eine Verabredung, und zwar an der Imbissbude am Waldrand.«
Jetzt ist Hartog ganz Ohr. »Haben Sie etwa gesehen, mit wem sie dort verabredet war?«
»Nein«, sage ich. »Ich bin früher abgebogen, weil ich Isabel nicht begegnen wollte.«
Sekundenlang mustert Hartog mich schweigend, dann schlägt er die Akte wieder auf, studiert eine Weile die Aufzeichnungen, und ich versuche mitzulesen. Ein paar Mal sehe ich den Namen Mirjam Visser .
»Wir sind bisher davon ausgegangen, dass Mirjam Visser Isabel Hartman als Letzte lebend gesehen hat«, sagt er. »Aber das waren offenbar Sie.«
»Nein«, korrigiere ich. »Das war die Person, mit der Isabel verabredet war.«
Hartog nickt. »Richtig, falls wir davon ausgehen, dass ein Verbrechen vorliegt. Haben Sie denn um diese Zeit, sagen wir mal, zwischen halb drei und drei, irgendwelche Bekannten an der Imbissbude gesehen?«
Ich schüttle den Kopf. »Nicht an der Imbissbude, da war ich nämlich gar nicht. Aber an der Kreuzung, an der ich abgebogen bin.«
Hartog spielt mit seinem Kuli. »Welche Kreuzung war das?«
»Die Kreuzung Jan Verfailleweg/Seringenlaan. Da bin ich abgebogen.«
Er macht eine Notiz. »Und wen haben Sie dort gesehen?«
»Eigentlich habe ich keine Person gesehen, sondern ein Auto: einen grünlichen Transporter, ziemlich verdreckt. Und zwar genau so einen, wie ihn Herr Groesbeek fuhr.«
Hartog blättert wieder in der Akte und liest einige Passagen nach. »Um wie viel Uhr waren Sie etwa an der Kreuzung?«
»Keine Ahnung«, sage ich. »Das ist jetzt neun Jahre her. Aber ich weiß noch, dass ich gleich nach dem Unterricht losgefahren bin. Aber ganz gemütlich, also müssten wir wohl um halb drei an der Ampel gestanden haben.«
Hartog hebt den Blick nicht von der Akte. »Um diese Uhrzeit hat Herr Groesbeek die leeren Kaffeekannen aus der Turnhalle geholt, wo Prüfungen stattfanden.«
»Legen Sie mich bitte nicht auf die Minute fest! Groesbeek kann ja anschließend losgefahren sein. Ich weiß noch, dass er mich überholt hat.«
Mit einem dumpfen Laut wird die Akte zugeklappt. »Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Information, Fräulein Kroese«, sagt Hartog. »Wir werden der Sache nachgehen. Immerhin wissen wir ja nun, in welche Richtung Isabel Hartman gefahren ist. Das könnte wichtig sein.«
Seine Stimme klingt ganz und gar nicht so, als fände er das wichtig.
»Aber das ist nicht, was ich melden wollte«, sage ich. »Ich meine, das schon auch, aber der Grund für mein Kommen ist ein anderer.«
Resigniert legt Hartog die Hände auf die Akte. »Und was bitte schön
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