Klassentreffen
damals zusammen.«
»Ach, wie nett!«, sagt Frau Takens spontan.
»Ja, und da möchte ich auch gern einen kleinen Artikel über Herrn Groesbeek schreiben, weil sich so viele Schüler noch gern an ihn erinnern. Wie es ihm heute geht und was er so macht. Etwas in der Art.«
»Von mir erfahren Sie nichts«, sagt Frau Takens sehr bestimmt. »Was Joop Ihnen sagen will, erzählt er Ihnen schon selbst. Ich will auf keinen Fall irgendwelchen Klatsch über ihn in die Welt setzen.«
»Aber nein, darum geht es überhaupt nicht! Herr Groesbeek hat mir schon mehr als genug erzählt. Mir geht es vielmehr um seine Katzen. Ich habe gestaunt, dass er so viele hat.«
»Aha«, sagt Frau Takens noch immer leicht reserviert.
»Und dass er ihnen so originelle Namen gegeben hat! Namen von ehemaligen Schülerinnen. Das finde ich witzig. Ich wollte die Namen gern in meinen Artikel aufnehmen.«
»Sie wollen also von mir wissen, wie seine Katzen heißen? Warum fragen Sie ihn nicht selbst danach?«
»Weil er jetzt schläft«, sage ich bedauernd. »Wir mussten unsere Unterhaltung abbrechen, weil er so müde war, und nun will ich ihn nicht noch mal rausklingeln. Sie als seine Nachbarin wissen doch bestimmt, wie die Katzen heißen. Ich glaube, eine davon hat er Nina gerufen.«
»Stimmt, und dann hat er noch eine Anne, eine Lydie und eine Belle.«
»Belle?« Ich zücke mein Notizbuch und schreibe rasch die Namen auf.
»Die anderen weiß ich nicht genau. Es sind so viele.« Frau Takens denkt angestrengt nach. »Er ruft zwar jeden Abend nach ihnen, aber ich komm jetzt einfach nicht drauf. Doch, ja: Roos heißt eine. Aber der letzte Name fällt mir wirklich nicht ein.«
»Macht nichts, ich kann Herrn Groesbeek ja noch mal anrufen. Besten Dank, Frau Takens.«
»Gern geschehen. Und gutes Gelingen für Ihren Artikel.« Lächelnd schließt Frau Takens die Tür.
Im Auto hole ich die Zeitungskopien aus meiner Tasche. Die Namen der verschwundenen Mädchen sind zwar nicht in allen Überschriften erwähnt, aber in den Artikeln selbst werde ich fündig. Ich schreibe sie neben die Katzennamen in mein Notizbuch.
Dann fahre ich schnurstracks zum Polizeirevier.
Das Polizeirevier ist nicht mehr da. Früher lag es mitten in der Stadt. Ich war mal dort, um den Diebstahl meines Fahrrads zu melden. Das Rad hatte damals ganz in der Nähe des Reviers gestanden. Vor meinem inneren Auge sehe ich Lisa und mich hineingehen. Am Anschlagbrett im Warteraum hing ein Plakat von Isabel. Daneben jede Menge Gesichter von Leuten, die als vermisst gemeldet worden waren.
Lisa hatte ich zu Beginn der Oberstufe kennen gelernt, ein Jahr nach Isabels Verschwinden. Sie setzte sich neben mich, und wir verstanden uns auf Anhieb. Die neue Klasse bedeutete eine enorme Erleichterung für mich: Meine Klassenkameraden waren nett, und es gab keine ausgeprägte Clique mit einer entsprechenden Hierarchie. Ein Jahr ohne
Isabels Sticheleien und Gemeinheiten hatte einen völlig anderen Menschen aus mir gemacht. Die anderen aus ihrer Clique ließen mich in Frieden – jetzt, wo ihre Rädelsführerin weg war; die Schikanen hörten auf.
Als Jugendliche möchte man der Öffentlichkeit von all den Persönlichkeitsfacetten, die einen ausmachen, am liebsten nur eine zeigen. Aber unter der Oberfläche sind sie alle da, und es hängt von den jeweiligen Umständen ab, welche sich zeigt. Jahrelang war das bei mir Sabine eins; Sabine zwei ignorierte ich, obwohl sie nach Aufmerksamkeit lechzte. In den letzten Schuljahren kam sie dann an die Reihe und machte nachdrücklich auf sich aufmerksam, indem sie vorlaut war und die Lehrer mit Bemerkungen provozierte, die fast schon unverschämt waren, aber über die man gerade noch lachen konnte. Sabine zwei war ausgelassen, fröhlich, überall dabei – und entsprechend beliebt. Lisa war auch so, und zusammen machten wir die Schule unsicher. Es war eine herrliche Zeit. Aber ein Jahr vor dem Abitur zog Lisa um, und unser Kontakt schlief bald darauf ein.
Derzeit schwanke ich irgendwie zwischen Sabine eins und Sabine zwei.
Ich drehe ein paar Runden, sehe jemanden auf dem Bürgersteig und kurble das Fenster herunter. »Könnten Sie mir sagen, wo das Polizeirevier ist?«
Eine Frau mittleren Alters bleibt stehen und beugt sich vor. »Ja, am Bastiondreef. Das ist allerdings ziemlich weit weg«, sagt sie und erklärt mir den Weg. Ich bedanke mich und wende. Den Bastiondreef kenne ich; er ist in der Nähe der Lange Vliet. Zehn Minuten später parke ich das
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