Klassentreffen
Auto vor einem auffallend schönen Gebäude. Ich steige aus und betrachte die gestylte Fassade, bevor ich hineingehe.
Es ist nicht viel los. Nur ein Mann ist vor mir dran; er will einen Autoschaden melden. Geduldig warte ich, während er ausführlich berichtet. Da winkt mich eine andere Polizistin zu sich. Schnell gehe ich hin.
»Ich möchte Anzeige erstatten«, sage ich.
Die Polizistin nimmt ein Formular zur Hand. »Und worum geht es?«
»Äh … das klingt jetzt wahrscheinlich ein bisschen seltsam, aber es geht um einen Vermisstenfall von vor neun Jahren. Isabel Hartman. Sagt Ihnen der Name was?«
Sie nickt wortlos und sieht mich abwartend an.
»Ich bin hier zur Schule gegangen«, sage ich. »Isabel Hartman war in derselben Klasse wie ich. Ihr Verschwinden liegt zwar schon lange zurück, aber ich glaube, dass ich neue Informationen habe.«
Die Polizistin, ihre Kollegin und der Mann mit der Schadensmeldung starren mich an.
Ich halte den Blicken stand.
»Hmmm«, macht die Polizistin. »Fabienne, weißt du noch, wer damals für den Fall Hartman zuständig war?«
»Rolf«, lautet die Antwort.
»Haben Sie ein wenig Zeit?«, fragt mich die Polizistin.
Ich nicke, und sie geht. Nach einer Weile kommt sie wieder und bedeutet mir mitzukommen. Sie öffnet die Tür zu einem kleinen Raum. »Würden Sie bitte hier warten? Herr Hartog kommt gleich. Er holt nur noch rasch die Akte.«
»Gut.« Ich setze mich und warte.
Nach kurzer Zeit geht die Tür auf, und ein Mann kommt herein. Ich nehme an, dass es Rolf Hartog ist, der Kripobeamte, der damals mit Isabels Fall betraut war. Er ist groß, dunkelhaarig und hat mehrere hässliche Pickel am Hals. Bestimmt ein Junggeselle, sonst hätte ihm seine Frau garantiert
gesagt, dass sich die mintgrüne Krawatte mit dem hellblauen Oberhemd beißt.
In der einen Hand hält er eine dicke Akte. Er streckt mir die andere hin und stellt sich vor: »Rolf Hartog. Und Sie sind …«
»Sabine Kroese.«
»Normalerweise würde ich jetzt sagen: Nehmen Sie Platz. Aber Sie sitzen ja schon.« Er grinst über seinen eigenen Scherz, und ich lache nachsichtig mit.
»Möchten Sie Kaffee?«
»Gern.«
Er legt die Akte auf den Schreibtisch, geht aus dem Zimmer und bleibt eine kleine Ewigkeit weg, sodass ich das mit dem Kaffee fast schon bereue. Ungeduldig behalte ich die Tür im Auge und seufze mehrmals. Ich schiele auf die Akte. Als meine Hand gerade über den Tisch auf sie zugleitet, geht die Tür wieder auf.
»Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat. Die Kaffeebüchse war leer.« Hartog kommt ins Zimmer, klappert mit zwei Tassen herum und nickt mir freundlich zu. Er stellt sie auf den Schreibtisch und nimmt mir gegenüber Platz.
»Dann mal los, Fräulein Kroese. Wie ich höre, haben Sie im Vermisstenfall Isabel Hartman etwas Neues zu berichten.«
»Eventuell etwas Neues«, schwäche ich ab. »Aber ich halte es für wichtig genug, um es zu melden.«
»Da bin ich ja gespannt. Gerade eben bin ich noch mal rasch die Akte durchgegangen, obwohl mir alles noch recht gut in Erinnerung ist. Sie sagen, Sie seien mit Isabel Hartman befreundet gewesen, aber Ihren Namen habe ich in der Akte nirgendwo gelesen.«
»Befreundet waren wir nicht, wir gingen lediglich in die gleiche Klasse. Früher waren wir Freundinnen, aber dann haben wir uns auseinander entwickelt. Wie das eben manchmal
so läuft«, sage ich. »In der Grundschule steckten Isabel und ich ständig zusammen, aber im Gymnasium änderte sich das. Als sie verschwand, waren wir nicht mehr befreundet. Trotzdem hat mich die Sache sehr beschäftigt. Wir haben uns so lange gekannt …«
Hartog nickt. »Ich verstehe.«
»Demnächst soll ein Klassentreffen stattfinden«, sage ich. »Vielleicht beschäftige ich mich deshalb wieder intensiver mit Isabel. Ich träume von ihr und erinnere mich an Dinge, an die ich jahrelang nicht mehr gedacht habe. Und in diesem Zusammenhang ist mir auch Herr Groesbeek wieder eingefallen.«
Ich betrachte Hartog forschend, aber er verzieht keine Miene.
»Also, ich frage mich, ob Herr Groesbeek jemals verhört worden ist.«
»Ist er«, sagt Hartog. Er braucht nicht einmal in die Akte zu schauen.
»Aha. Und was ist dabei herausgekommen?«
»Fräulein Kroese, Sie wollten uns doch etwas Neues mitteilen, oder?«
»Ja, es hat mit Herrn Groesbeek zu tun. Er war Hausmeister an unserer Schule. Ein netter Mensch, aber ein Fall für sich. Sehr laut und grobschlächtig und …« Ich zögere. Hartog nickt mir aufmunternd
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