Klassentreffen
dann doch.«
»Ich hatte zu viel getrunken. Und sie sah nun mal unglaublich gut aus, Sabine. Besser, als gut für sie war. Und das wusste sie genau. Sie konnte wirklich jeden kriegen, den sie wollte.«
»Und wen wollte sie?«
»Alle. Da war sie nicht wählerisch. Sie hat alle hingehalten, mal angemacht und dann wieder fallen lassen, wie es ihr gerade passte. Ich bin froh, dass ich nach dem einen Abend in der Kneipe gleich einen Rückzieher gemacht hab. Ab da war sie nämlich ständig hinter mir her. Sie konnte es nicht ertragen, dass ich ihr nicht nachlief.«
»Und Olaf? Du hast doch gesagt, er hätte länger was mit ihr gehabt. Aber das leugnet er. Er hat gesagt, das müsse Bart de Ruijter gewesen sein.«
Robin runzelt die Stirn. »Bart de Ruijter? Der ist doch mit dir gegangen, oder?«
»Vielleicht ist er heimlich auch mit Isabel gegangen«, sage ich. Der Gedanke, dass er mich betrogen haben könnte, versetzt mir einen schmerzhaften Stich.
»Nein, das hätte ich mitgekriegt«, sagt Robin. »Der war total in dich verknallt.«
»Warum sagt Olaf dann, Bart sei mit Isabel gegangen, und gibt nicht zu, dass er selbst was mit ihr hatte?«, überlege ich laut.
Robin zündet sich eine Zigarette an und inhaliert tief. »Vielleicht will er dich nicht kränken. Er mochte dich nämlich schon früher gern. Kann sein, dass er dich damals zu jung und kindlich gefunden hat, aber gemocht hat er dich. Da wundert es mich nicht, dass er jetzt, wo ihr zusammen seid, nicht zugeben will, dass was mit Isabel lief. Bestimmt hat er Angst, dich zu verlieren.« Robin gibt dem Kellner ein Zeichen und deutet auf sein leeres Glas.
»Warum sollte mich das stören, dass er was mit Isabel hatte? Und wenn sie ihn genauso behandelt hat wie mich, könnten wir diese Erfahrung doch teilen, statt dass sie zwischen uns steht. Ich finde es wirklich blöd, dass er mich anlügt.«
»Tja.« Robin zuckt mit den Schultern. »Männer denken da anscheinend anders …«
Später am Abend erzähle ich Robin von den Erinnerungsfetzen, die mich in letzter Zeit heimsuchen, von meiner Entdeckung bei Groesbeek in Den Helder, von meinen wirren Erinnerungen an den Wald am Tag von Isabels Verschwinden.
»Woher willst du wissen, dass es was mit Isabels Verschwinden zu tun hat?«
»Weil ich glaube, dass ich sie gesehen habe, kurz bevor sie umgebracht wurde«, platze ich heraus.
Robin lässt die Gabel fallen. In seinem Blick liegt Überraschung, aber auch noch etwas anderes, Unbestimmtes, am ehesten wohl Bestürzung.
»Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber ich weiß, wo und wie«, sage ich leise.
Robin starrt auf seinen Teller; offenbar ist ihm der Appetit vergangen.
»Du warst also dabei«, sagt er.
Ich nicke.
»Bist du ganz sicher? Ich meine, hast du das nicht vielleicht geträumt oder so?«
»Ich träume zwar öfter davon und sehe dann auch, wer sie umgebracht hat. Aber wenn ich aufwache, ist alles wieder weg. So langsam weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll. Was ist Erinnerung, und was stammt aus meinen Träumen? Es ist alles so verwirrend«, sage ich resigniert.
Robin nimmt seine Gabel und steckt sich mechanisch ein Stück überbackenen Chicorée in den Mund.
»Vielleicht solltest du einfach nicht mehr daran denken. Es zehrt an dir, das merke ich.«
Ich lächle matt. »Ja, vielleicht hast du Recht. Vielleicht bilde ich mir das Ganze nur ein. Es passiert ja so leicht, dass man Erinnerungen verfälscht und Zusammenhänge herstellt, wo keine sind.«
»Genau«, sagt Robin. »Lass die Sache auf sich beruhen.« Er lächelt mich liebevoll an und blickt dann auf meinen leeren Teller.
»Magst du noch einen Nachtisch?«
»Ein Irish Coffee wäre fein«, sage ich.
Robin winkt dem Kellner, und den restlichen Abend meiden wir das Thema Isabel.
Mitten in der Nacht klingelt das Telefon. Ich fahre hoch, die Hand an der Brust. Mein Herz hämmert, als wäre irgendwo in meinem Innern eine Alarmanlage losgegangen. Das schrille Telefonklingeln erfüllt die Dunkelheit bis in den hintersten Winkel der Wohnung. Mein Digitalwecker zeigt 01:12 Uhr.
Ich streiche mir das Haar aus dem Gesicht und nehme ab: »Sabine Kroese.«
Stille.
Ich wiederhole meinen Namen nicht, schließlich war ich deutlich genug. Leise Atemzüge dringen an mein Ohr und in jede Nervenzelle meines Körpers.
Ich lege auf. Sofort klingelt es wieder. Damit hatte ich zwar irgendwie gerechnet, trotzdem erschreckt es mich aufs Neue. Ich nehme ab, sage aber nichts. Am anderen Ende der
Weitere Kostenlose Bücher