Klassentreffen
sagt Olaf. »Du lebst jetzt in Amsterdam. Was passiert ist, ist passiert. Daran kannst du sowieso nichts ändern.«
»Für ihre Eltern würde es aber sehr wohl etwas ändern, wenn sie wüssten, was passiert ist.«
»Willst du etwa mit dem, was du mir gesagt hast, zu ihnen gehen? Oder zur Polizei? Hör mal, Sabine, du weißt doch selbst, was dabei herauskommt.«
»Ja.«
»Oder hast du doch noch mehr gesehen?«
»Nein, mehr nicht. Nur dass sie tot auf dem Boden lag.«
»Mit Sand im Haar«, ergänzt Olaf. »Das müsste dann bei den Dünen gewesen sein. Aber damals gab es doch eine groß angelegte Suchaktion. Mit Hunden, Infrarotkameras und was weiß ich noch allem. Wenn sie irgendwo in den Dünen gelegen hätte, wäre sie garantiert gefunden worden.«
Nicht unbedingt. Lydia van der Broek wurde erst nach einem halben Jahr auf einer Baustelle bei einem Neubauviertel gefunden. Der dichte Bewuchs neben der Stelle, an der sie verscharrt war, hatte verhindert, dass die Infrarotkameras irgendetwas meldeten. Die Polizei war zwar auch mit Suchhunden dort gewesen, aber der Wind hatte wohl in die falsche Richtung geweht. Erst als das Neubauviertel erweitert werden sollte, fand man sie.
Das alles sage ich nicht.
Olaf hebt mein Kinn, sodass ich ihn ansehen muss. »Denk nicht mehr dran«, sagt er leise. »Ändern kannst du ja sowieso nichts. Soll ich heute Nacht bei dir bleiben?«
»Nein, danke. Es geht schon wieder.«
»Ganz bestimmt? Ich bin ja jetzt da. Womöglich träumst du nachher wieder, dann kann ich dich wecken.«
Ich bin zu müde, um ihm zu widersprechen. »Na gut.«
Wir gehen schlafen, er hat den Arm um meine Taille gelegt. Ich liege mit dem Rücken zu ihm, spüre seinen schweren Arm auf meinem Körper und starre in die Dunkelheit.
KAPITEL 28
Alles ist voller Rauch, kohlschwarzem dichtem Rauch. Wie Bodennebel kriecht er durch meine Wohnung, dringt in alle Ritzen und treibt mich ins Schlafzimmer. Wie gelähmt sehe ich ihn unter der Tür durchkriechen und auf mich zuwabern. Ich weiß, dass ich was tun muss: die Feuerwehr rufen, aus dem Fenster springen … aber ich kann nicht. Unsichtbare Hände drücken mich aufs Bett. Ich versuche mich zu befreien, und als ich es endlich geschafft habe, springe ich sofort auf. Erstickender Rauch hängt wie ein schwarzer Vorhang im Zimmer und versperrt meinen Fluchtweg.
Panisch sehe ich mich um, aber mein Schlafzimmer hat plötzlich kein Fenster und keine Balkontür mehr. Trotz meiner Todesangst wundert mich das noch am meisten: Ich konnte doch immer vom Schlafzimmer auf den Balkon!?
Rasend schnell füllt der Rauch das Zimmer, hinter der Tür höre ich das Feuer knistern. Ich schreie. Sofort dringt mir Rauch in Mund, Hals und Lunge. Ich will nicht sterben, ich will nicht, will nicht!
Entsetzt reiße ich die Augen auf. Die weiße Decke ist ein derart großer Kontrast zu dem dunklen, verrauchten Zimmer von eben, dass ich erst gar nichts begreife. Ich sehe mich um: nirgendwo ist Rauch.
Unendlich erleichtert mache ich die Augen wieder zu und lege die Hand auf die Brust, damit das rasende Herzklopfen nachlässt.
Im gleichen Moment rieche ich es. Rauch! Ich fahre hoch und renne im Schlafanzug in den Flur.
»Shit!« , ruft Olaf und lässt etwas auf den Boden fallen.
Nur mit einer Unterhose bekleidet, steht er in der Küche. Vor seinen Füßen liegt ein verbrannter Toast. Auf der Spüle qualmt mein alter Toaster.
Ich reibe mir die Augen. »Was machst du denn da? Das Ding ist kaputt, es wirft den Toast nicht mehr aus.«
»Du sagst es.« Olaf hebt das rußig-schwarze Brot auf. »Ich wollte dich mit Frühstück im Bett überraschen. Schade.«
»Na, die Überraschung ist dir geglückt. Sogar bis in meine Träume ist sie gedrungen.« Ich gähne und strecke mich. »Ich geh schnell duschen. Und mach dir keine Mühe: Ich frühstücke unter der Woche nie sehr ausgiebig. Weißt du, was ich mag? Vollkornbrot mit …«
»Erdbeeren«, ergänzt Olaf. »Ja, das weiß ich noch. Kommt sofort, gnädige Frau. Geh erst mal schön duschen.«
Er ist so lieb zu mir. Während ich mich in der Dusche von Dampfwolken einhüllen lasse und mich einem allumfassenden Wohlgefühl hingebe, überlege ich, warum ich ihm gegenüber nicht offener bin. Er ist attraktiv, nett und ganz eindeutig in mich verliebt. Warum lasse ich mich nicht einfach auf ihn ein? Warum stört es mich, wenn er in meinen Küchenschränken kramt, an der Spüle herumhantiert und die Luft in meiner Wohnung einatmet? Vielleicht liegt
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