Klassentreffen
Frauenstimme.
»Guten Tag, hier spricht Sabine Kroese«, sage ich. »Wir kennen uns nicht, haben aber einen gemeinsamen Bekannten: Olaf van Oirschot.«
Schweigen.
»Sind Sie noch dran?«, frage ich, als es mir zu lange dauert.
»Ja. Was ist mit Olaf?«
»Nichts, außer dass ich gerade eine Beziehung mit ihm habe und …«
»Seien Sie vorsichtig«, fällt sie mir ins Wort.
»Wie bitte?«
»Er ist nicht so nett, wie es den Anschein hat. Ich spreche aus Erfahrung.«
»Deshalb rufe ich Sie ja an. Könnte ich wohl mal vorbeikommen?«
»Jetzt gleich?«
»Es ist wichtig.«
»Na gut. Ich wohne in De Schooten. Kennen Sie die Gegend?«
»Ja, ich stamme von hier. Ich bin gerade in der Post am Middenweg und könnte in einer Viertelstunde bei Ihnen sein.«
Ich lege auf und schreibe mir die Adresse aus dem Telefonbuch ab. Kurz darauf sitze ich wieder im Auto und fahre
nach De Schooten, einen Vorort von Den Helder. Mirjam hat dort früher mal gewohnt, fällt mir ein.
Eline Haverkamps Straße ist nicht schwer zu finden, und Parkplätze gibt es dort auch genug. Ich stelle das Auto vor dem Haus ab und steige aus. Als ich abschließe, geht auch schon die Haustür auf. Eine junge Frau, etwa in meinem Alter, steht auf der Schwelle und lächelt mich an. Ich gehe den Gartenweg entlang, und an der Tür begrüßen wir uns mit einem festen Händedruck.
»Hallo«, sagt Eline. »Kommen Sie rein. Aber stolpern Sie nicht über die Kartons mit den Einkäufen. Ich war vorhin im Supermarkt.«
»Zum Wocheneinkauf, wie man sieht«, sage ich lachend und mache einen Bogen um die Kartons.
»Ja, so ist das nun mal, wenn man die Woche über arbeitet. Möchten Sie Kaffee?«
»Nein danke. Ich hab gerade welchen getrunken.« Etwas zu essen hätte ich schon gern, aber so was sagt man nicht. Also setze ich mich und sehe mich in dem kleinen, aber gemütlichen Wohnzimmer um. Ganz nach meinem Geschmack: viel helles Holz, Grünpflanzen und ein großes Bücherregal, das eine ganze Wand einnimmt.
»Was auch immer Ihr Anliegen ist: Seien Sie vorsichtig mit Olaf van Oirschot«, sagt Eline, während sie sich ebenfalls setzt. Nervös zündet sie sich eine Zigarette an. »Ich war ein Jahr lang mit ihm zusammen, aber eigentlich hat es schon nach einem halben Jahr nicht mehr zwischen uns gestimmt.«
»Wie kam das?«
»Tja, wie kam das.« Sie zuckt mit den Schultern. »Olaf ist dominant und sehr besitzergreifend. Wir waren kaum zusammen, da hat er mich schon als sein Eigentum betrachtet. Jede Minute meiner Freizeit sollte ich ihm widmen. Ich sah meine Freunde kaum noch allein, er wollte überallhin mitkommen.
Wenn ich mal was allein unternehmen wollte, schmollte er wie ein Kleinkind. Er konnte unheimlich ungerecht sein, hat Streit angefangen, sich wieder mit mir versöhnt, doch kurze Zeit später fing alles wieder von vorn an. Gut lief es eigentlich nur dann, wenn alles nach seinem Kopf ging.« Sie sieht mich forschend an. »Wie lange sind Sie schon mit ihm zusammen?«
»Erst ein paar Wochen, aber wir kennen uns von früher.«
»Wie heißen Sie gleich noch mal?«
»Sabine Kroese.«
»Ich kenne einen Rob Kroese. Das war ein Freund von Olaf.«
»Robin. Das ist mein Bruder. Durch ihn habe ich Olaf kennen gelernt. Vor einiger Zeit haben wir uns dann wiedergesehen, und es hat gleich gefunkt. Aber irgendwie habe ich die ganze Zeit so ein ungutes Gefühl. Keine Ahnung, warum.«
»Ich weiß, warum.« Eline zieht an ihrer Zigarette. »Weil Olaf nicht richtig tickt. Er ist der klassische Fall des netten Jungen, der zum Tyrannen wird, wenn er sich abgewiesen fühlt.«
»So schlimm?«
»O ja. Je länger die Beziehung dauert, desto mehr verbeißt er sich darin. Sehen Sie zu, dass Sie ihn wieder loswerden, bevor er gewalttätig wird.«
»Gewalttätig?«
»Er hat mich geschlagen«, sagt Eline. »Nicht fest, aber immerhin … Männer, die ihre Freundinnen schlagen, sind einfach indiskutabel. Nach dem ersten Mal wollte ich mich sofort von ihm trennen, aber so einfach war das nicht. Er hat mich verfolgt, ständig bei mir angerufen und meine Freunde belästigt, um mich aufzuspüren. Am Ende hab ich dann die Polizei gerufen. Die Sache ging vors Gericht, und Olaf
bekam ein Kontaktverbot. Danach hat er mich noch wochenlang angerufen und Drohbriefe geschickt. Irgendwann hat es dann aufgehört. Wahrscheinlich, weil er eine andere im Auge hatte …«
Ich lasse mich in die weichen Sofapolster sinken. »Jetzt hätte ich doch gern einen Kaffee«, sage ich und stecke mir
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